Caras Gabe
die Scheunentür verriegelt“, fragte ich unvermittelt und blieb stehen.
Arun ging weiter ohne aufzusehen. Ich konnte seine Zähne im Mondlicht blitzen sehen. „Ja.“
Ich stutzte. Dass er es so einfach zugeben würde, hatte ich nicht erwartet. Schweigend lief ich ihm hinterher.
„Ist dir nicht kalt?“, fragte ich ihn nach einiger Zeit.
Er gab einen Laut von sich, als sei das das Absurdeste, das ich je gefragt hatte. Diesmal musste ich tatsächlich grinsen.
Als ich zum dritten Mal über eine Wurzel stolperte, hielt Arun an und hob mich auf seine Arme. Ich war viel zu müde, um zu protestieren, und so schmiegte ich mich einfach an ihn und genoss seine Nähe und die Aussicht auf den Himmel. An den Rändern verfärbte sich das Schwarz zu Dunkelblau und schließlich zu Grau. Schwere Wolken zogen auf und verdeckten die Sterne vor meinem Blick, doch dafür brachten sie etwas anderes mit sich.
„Schnee“, hauchte ich und hob den Kopf. Winzige, kalte Küsse auf meiner Haut. Ein Lächeln breitete sich über mein Gesicht aus. Ich liebte den ersten Schnee des Jahres. Er hatte etwas so Reines und Erhabenes an sich, dass ich darüber sogar die Fäulnis der Priester vergessen konnte.
Ich wandt mich in Aruns Armen, bis er mich absetzte. Die Flocken wurden dicker, schwebten träge durch den Himmel, zwischen den Tannen hindurch und auf mich zu. Ich hob meine Arme, reckte mich ihnen entgegen und wirbelte im Kreis herum, bis mir schwindelig wurde.
Arun stand unter den Tannen an einen Stamm gelehnt da und schaute mir zu. Mir fiel auf, dass ihn keine Schatten mehr verbargen, keine Nacht umhüllte ihn mehr vor mir und für einen kurzen Moment sah er aus wie ein ganz normaler Mensch und irgendwie … verletzlich. Was für ein eigenartiges Geschöpf er war. Ich hörte auf mich zu drehen und winkte ihm, dass er zu mir kommen sollte. Er schüttelte den Kopf.
Die Welt verschwand und als ich wieder sehen konnte, waren wir zurück in meinem Zimmer. Ich seufzte enttäuscht. Dann legte ich eine Hand in Aruns Nacken und zog seinen Kopf zu mir herunter. Meine Lippen streiften seine Wange und ich flüsterte: „Bis bald.“
Ich sah ihn lächeln, dann war er fort und sein Umhang mit ihm.
Plötzlich war mir wieder kalt. Ich schlang die Arme um meinen Körper und machte, dass ich zurück ins Bett kam. Dort wickelte ich mich in meine Decke und schaute dem Schnee zu, wie er das Land lautlos mit seinem Zauber überdeckte. Kurze Zeit später schlief ich ein.
Kapitel 5
Das Bild des toten Kindes geisterte den ganzen Tag über durch meine Gedanken. Es war so allgegenwärtig, dass ich nichts anderes mehr sehen konnte. Mein Kopf fühlte sich so schwer an, so voll mit Gedanken und Bildern, die ich am liebsten vergessen hätte, um mir die Last zu erleichtern.
Das Haus lag still und verlassen da, als ich mich anzog, um meinen Pflichten nachzugehen. Auf meine Mutter traf ich den ganzen Morgen nicht, und das war auch besser so.
Die Messe blieb mir heute erspart – jeden siebten Tag setzte sie gnädigerweise aus –, doch ich hatte nicht vergessen, was der Lichtträger verkündet hatte. Es bedeutete, dass die gesamte Gemeinde sich heute, wenn die Sonne am höchsten stand, vor der Kirche versammeln würde, damit der Lichtträger einen neuen Priesteranwärter auswählen konnte. Wen würden sie wohl erwählen?
Vielleicht Porka, weil er bösartiger war als alle anderen und Gefallen daran fand, andere zu quälen, oder Kordem, der seine Frau und seine Töchter schlug, bis sie sich nicht mehr regten, oder Fieka, die schon drei ihrer Nachbarn an die Flammen verraten hatte. Oder meine Mutter, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, weil sie ihre widerspenstige Tochter gemaßregelt hatte.
Meine Hand ging zu meinem Haar oder zu dem, was davon übrig war. Zumindest war es nun nicht mehr das Werk meiner Mutter, sonders Aruns. Seine Hände und sein Dolch hatten es zu dem geschnitten, was es nun war, und mit dem Wissen konnte ich meinen Kopf hochhalten.
Dennoch, ich hatte nichts bei dieser Zeremonie zu suchen, ich wollte nicht einmal in der Nähe sein, wenn sie abgehalten wurde. Alles Lügen, Farce und Verblendung!
Es war schwer, den Stand der Sonne hinter den schweren Wolken zu schätzen, doch als ich es nicht mehr aufschieben konnte, rüstete ich mich für die Zeremonie. Energisch kramte ich meinen Winterumhang und einen wollenen Schal aus einer Kiste unter meinem Bett hervor. Der Umhang war mir eigentlich zu groß, doch ich würde ihn gegen nichts in der
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