Caravan
pinkfarbenen Lippenstift auftrug für ihr Rendezvous mit dem dicken
Bauern. Ständig sprang sie auf und rannte zum Fenster wie ein hysterischer Pudel. Auf einmal japste sie: »Seht mal, Mädchen.
Wir haben Besuch.«
Sie zeigte zum Fenster hinaus. Statt des Landrovers war am Fuß des Feldes eine riesige schwarze Mafiakutsche vorgefahren.
Mir blieb fast das Herz stehen. Es war wie ein Schlag in den Magen. Die Autotür ging auf, und ein bulliger, schwarzgekleideter
Typ stieg aus. Ich erkannte ihn selbst aus der Entfernung.
Vulk sah sich um, dann bahnte er sich ungeschickt den Weg durch das Feld, wobei er büschelweise Erdbeeren zertrat. Ich dachte
gar nicht erst nach. Ich sprang einfach auf und stürzte, ohne mich umzusehen, hinaus. Dann schlüpfte ich durch die Lücke in
der Hecke und lief in den Wald. Mein Herz klopfte wie wild. Mit eingezogenem Kopf rannte ich hinter der Hecke entlang, weg
von den Wohnwagen, und tauchte zwischen den Bäumen unter. Dort kauerte ich mich ins dichte immergrüne Gebüsch und lauschte.
Ich hörte Stimmen, Männer- und Frauenstimmen, aber ich verstand nicht, was gesagt wurde. In meinen Ohren rauschte das Blut
so laut, dass ich meine eigenen Gedanken nicht hörte. Es war wie ein Alptraum, so einer, wo einen das eigene Herzklopfen weckt.
Bumm bumm. Doch als ich die Nägel in meine Handflächen grub, war der Schmerz real.
Nach einer Weile kam Jola heraus auf das Feld und rief meinen Namen.
»Irina? Irina? Komm, Mädchen, hier ist gutaussehender Männerbesuch für dich.«
Diese Frau ist so grässlich. Warum geht
sie
nicht mit, wenn |59| sie Vulk so toll findet? Wahrscheinlich ist er genau ihr Typ. Reglos blieb ich sitzen, hielt die Luft an, bis Jola aufgab
und zum Wohnwagen zurücktrottete. Dann endlich atmete ich aus. Aber ich rührte mich immer noch nicht. Es war wie ein Geduldsspiel
zwischen ihm und mir. Ein paar Zentimeter vor meiner Nase hing eine Spinne von einem Zweig herunter und webte ihr Netz. Ich
sah zu, wie sie sich auf einen Ast weiter unten fallen ließ, dann an ihrer seidenen Leiter wieder hinaufkletterte, mit Feuereifer
den dicken Leib auf den Spinnenbeinchen hochwuchtete. Schließlich setzte sie sich in die Mitte des Netzes und wartete, dass
ihre Beute an den Fäden zupfete.
Ich hörte Vulks Stimme. Er stand an der Hecke. »Kleinerr Blume! Komm, kleinerr Blume! Komm!«, rief er.
Diese schmierige Stimme. Mir wurde schlecht. Aus meinem Versteck konnte ich nichts sehen, aber vor meinem inneren Auge sah
ich, wie sein Pferdeschwanz hin und her zuckte.
»Komm! Komm!«
Ich hielt die Luft an. Mein Herz klopfte so laut, dass ich mir sicher war, er müsste es hören, als er an der Hecke auf und
ab ging. Seine Schritte auf dem Erdboden waren schwer. Knirsch. Knirsch. »Kleinerr Blume! Kleinerr Blume!«
Dann stieg mir der widerlich vertraute Geruch in die Nase. Er hatte sich eine Zigarre angezündet. Offensichtlich stand er
neben der Hecke und rauchte. Paff. Paff. Ich sah ihn nicht, aber ich roch, dass er ganz in der Nähe war. Meine Muskeln verkrampften
sich, und mein Atem ging schnell und flach, wie in einem Alptraum, wenn man weglaufen will, aber sich nicht bewegen kann.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging. Es wurde langsam dunkler. Irgendwann verflog der Zigarrengestank. War es sicher,
aus meinem Versteck herauszukommen? Gerade als ich aufstehen wollte, |60| hörte ich wieder Stimmen. Er war beim Wohnwagen. Ich spitzte die Ohren. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber ich hörte
Jolas vulgäres Lachen, und dann, nach einer Ewigkeit, das Geräusch, auf das ich gewartet hatte – den Motor der Mafiakutsche.
Mit einem Scheppern schloss sich das Tor, und das Motorengeräusch verlor sich in der Ferne.
Es war fast finster, als ich endlich wagte, aus meinem Versteck zu kommen und in die Helligkeit des Wohnwagens zurückzukehren.
»Da bist du ja!«, rief Marta. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Da bist du!« Jolas Stimme war vorwurfsvoll. Sie sah mich von oben bis unten an, dann zwinkerte sie mir vulgär zu. »Du hast
heimlicher Liphaber.« Sie sagte es auf Englisch, damit die chinesischen Mädchen auch etwas davon hatten. »Schöner Mann sucht
nach dir.«
»Schön ist er nicht.« Ich verzog das Gesicht.
Die chinesischen Mädchen lachten.
»Schön genug«, sagte Jola. »Kein Glatzkopf. Viel gute Haare.«
»Zu lang. Sieht aus wie Frauenhaare«, sagte das chinesische Mädchen Nummer eins, »wie To-mah.« Und dann
Weitere Kostenlose Bücher