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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Frau, und kann niemand von mir erwarten, dass ich teile meinen Schlafraum mit einem Mann.«
    Nun, seine Antwort ist so ungehobelt, dass sie sie hier nicht wiederholen wird, es hat jedenfalls etwas mit ihrem Alter, ihrer
     Unterwäsche, ihrem Heimatland und ihrer Beziehung mit dem Bauern zu tun, was eine rein geschäftliche Angelegenheit war und
     außerdem eine, die im Ausland stattgefunden hat, wodurch sie für eine Diskussion ihres Charakters völlig bedeutungslos ist,
     eine Feinheit, die für einen Ukrainer wahrscheinlich viel zu feinsinnig ist.
    »Andrij, bitte!«, mischt sich Tomasz ein, voller Gelassenheit und Würde, »kein Problem. Du kannst im Landrover schlafen, und
     ich hier auf dem Boden.«
    »Nein! Nein!«, schreien alle Mädchen im Chor. »Auf dem Boden ist kein Platz!«
    »Dann schlafen wir alle im Landrover. Irgendwie geht schon.«
    Und es ging. Irgendwie. Na bitte.
     
    Nachdem Andrij sich Luft gemacht hat, fühlt er sich besser. Draußen herrscht die Kühle vor dem Tagesanbruch und es wird bereits
     heller, die Sterne sind verschwunden. Tomasz hat die Turnschuhe wieder ausgezogen, sie auf die Motorhaube gestellt und sich
     auf den Vordersitzen des Landrovers ausgestreckt. Seine Füße hängen zum Fenster raus und parfümieren die Brise. Andrij fragt
     sich, wo Irina die Nacht verbringt. Der Gedanke bereitet ihm Übelkeit. Er kriecht hinten auf die Pritsche und zwängt sich
     neben Emanuel, der |78| den ganzen Aufruhr verschlafen hat und mit angezogenen Knien daliegt. Auf dem Boden liegt eine alte Decke, mit der er sie
     beide zudeckt. Auch wenn es kühl ist, die Stille des Waldes und der Geruch von Erde, Wurzeln und Harz sorgen dafür, dass er
     in tiefen Schlaf sinkt und erst wieder aufwacht, als die Morgensonne durch die silbrigen Baumstämme fällt.
     
    ICH BIN HUND ICH LAUFE ICH LAUFE ALLEIN FELDER HECKEN STRASSE ALLES DUNKEL ICH SEHE BLAUES LICHT GEFLACKER ICH RIECHE LAUSCHE
     ICH HÖRE RÄDERMASCHINENGERÄUSCH BÖSE TUUU TAAA TUUU TAAA ICH LAUFE FELDER FLUSS ICH TRINKE ICH HÖRE KLEINES TIER RASCHELN
     ICH RIECHE GRAS UND ERDE UND TOD VERWESTES TIER ICH RIECHE FRISCHE PISSE DACHS FUCHS WIESEL KANINCHEN ICH LAUFE STRASSE FELDER
     WALD STRASSE WALD HALT SCHNUPPER SCHNUPPER ICH RIECHE MÄNNERFÜSSE GUTER STARKER FÜSSEGERUCH ICH SUCHE MANN MIT FÜSSEGERUCH
     ICH LAUFE ICH LAUFE ICH BIN HUND
     
    Ich sprang.
    Ich fiel. Der Boden war weich. Ich rollte mich ab, kam hoch, und dann rannte ich los.
Mama, Papa, helft mir, bitte. Ich bin doch eure kleine Irinotschka
.
    Ich dachte, die Bäume – ich muss in die Bäume. Ich stolperte die Böschung hoch in den Wald, duckte mich unter die niedrigen
     Äste. Im Wald hatte ich vielleicht eine Chance. Mit etwas Glück würden mich die Bäume vor den Kugeln schützen. Ich wappnete
     mich innerlich gegen die Schüsse, während ich weiterrannte, wartete auf den Knall, der mir sagte, dass ich tot war. Doch es
     fiel kein Schuss. Ich konnte nur Schritte hören, seine und meine, krachend im Unterholz, |79| auf den toten Zweigen am Boden. Krack. Krack. Keine Schüsse.
Warum schießt er nicht? Vielleicht bin ich schon tot.
Es war so dunkel. Dunkel wie im Schrank unter der Treppe. Dunkel wie in einer Gruft. Am Anfang war da noch das schwache Licht
     der Scheinwerfer gewesen, aber jetzt war ich zu weit weg, rannte hinein in völlige Schwärze. Es war zu dunkel zum Laufen.
     Zu viele Hindernisse, Schatten, die sich in Bäume verwandelten, Zweige, die mir ins Gesicht schlugen, Wurzeln, die an meinen
     Beinen rissen, unsichtbare Schrecken. Kein Mondlicht hier unten. Dann glaubte ich den Waldrand zu sehen, den grauen Schimmer
     des Himmels hinter den Bäumen.
    Ich lief nach rechts, rutschte die Böschung hinunter, zurück auf den Weg, und rannte leise durch das Gras. Ich hörte ihn immer
     noch hinter mir im Wald. Krack. Krack.
    Dann kam eine Biegung, der Weg stieg steil an, gesäumt von einer hohen, unregelmäßigen Hecke. Über der Hecke sah ich den Himmel,
     Sterne, die atemlos auf und ab hüpften, während ich lief. Ich blieb stehen, rang nach Luft. Meine Lungen explodierten fast.
     Das Blut hämmerte in meinen Ohren – bumm bumm bumm bumm –
lauf weiter. Nicht stehen bleiben. Du bist jünger und fitter. Du kannst schneller laufen.
Ich stürzte über eine Wurzel, rappelte mich hoch und rannte weiter – bumm bumm bumm. Als ich nicht mehr konnte, versteckte
     ich mich hinter einem Baum und lauschte. Mein Atem ging in keuchenden Zügen. Immer noch hörte ich seine

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