Caravan
aufwachen, etwa eine Stunde nach den Männern, versucht der Hund,
jede Einzelne auf dem Weg in die Büsche zu begleiten, und muss jedes Mal verscheucht werden.
»Wo kommt der Hund her?«, fragt Jola. »Er sollte zurück.« Aber niemand scheint etwas zu wissen. Dann sieht er sie an, mit
solcher Zärtlichkeit in den Augen, dass ihr Herz sofort schmilzt, denn sie ist eine warmherzige Frau, und sie nimmt Irinas
oranges Band und bindet es dem Hund mit einer reizenden Schleife um den Hals.
Marta bemerkt, dass seine Pfoten zerschunden sind und bluten, als wäre er sehr weit gelaufen, und sie versorgt die Wunden
mit einer ausgezeichneten antiseptischen Salbe aus Polen. Sie teilen sogar das Brot mit ihm, sonst haben sie nichts zum Frühstücken,
aber das war gar nicht nötig, wie sich herausstellt, denn er verschwindet in den Wald und kommt später mit einem Kaninchen
im Maul zurück.
Nach dem Essen streckt er sich zu Tomasz’ Füßen aus, den Kopf auf den Pfoten und ein Ohr aufgestellt, und hört ihnen beim
Diskutieren zu. Denn anscheinend müssen sie endlos |83| diskutieren, wohin sie fahren, was völlig unnötig ist, da Jola bereits beschlossen hat, dass sie nach Dover fahren.
Zweifellos werden sie auch das ukrainische Mädchen dort finden. So übel war sie eigentlich gar nicht, aber am Ende ist sie
selbst schuld an ihrem Verschwinden, mit ihrem leichtsinnigen Lächeln. Wenn man so einen Gangstertyp erst mal auf Ideen gebracht
hat, was soll man da machen? Das mit den Blumen war immerhin eine nette Geste.
Für Jola ist die Sache klar. Andrij, dem man zugutehalten muss, dass er sich für seinen Ausbruch gestern Abend höflich entschuldigt
hat, hat sie mit seiner Schäkerei mit der Bauersfrau erst in diesen ganzen Schlamassel reingebracht, und jetzt soll er sie
auch wieder da rausholen, schnell, schnell, bevor die Polizei kommt.
»Bei der Polizei jede Kleinigkeit kann für immer dauern. Lauter unnötiger Papierkram.« Sie weiß aus Erfahrung, wie bürokratisch
Bürokratie sein kann. Sie war mal mit einem Bürokraten verheiratet. »In der Zwischenzeit wartet der arme Mirek in Zdroj auf
uns. Mirek, masurische Ziegen, reife Pflaumen im Garten. Zeit, nach Hause zu gehen.« Sie wischt sich dramatisch eine Träne
aus den Augen.
»Wer ist denn Mirek?«, fragt der langhaarige Tomasz mit einem Gesicht wie Bauchschmerzen.
»Mirek ist mein geliebter Sohn.«
»Auch von Gott geliebt«, sagt Marta und rollt die Augen zum Himmel. »Eins von Gottes besonderen Kindern.«
Warum muss Marta die Schwierigkeiten des armen Jungen immer unnötig in der ganzen Welt herumposaunen? Mit ihrem frommen Gewimmer
hat sie schon die letzten beiden Ehekandidaten verscheucht. Jola versetzt ihr diskret einen Tritt gegen das Schienbein.
»Und sein Vater? Wartet sein Vater auch?«, fragt Tomasz tapfer.
|84| »Sein Vater ist fort.« Jola wirft Tomasz einen kühlen Blick zu. »Warum du stellst so viele Fragen, Mister Stinkefuß? Du hast
genug eigene Probleme, ohne die Nase in meine zu stecken.«
Auf einmal will jeder mitreden.
»Wir gehen nach London«, sagt eins der chinesischen Mädchen. »In London viele Chinesen. Viel Geld Arbeit für Chinesen. Besser
als Erdbeer.«
»Ich habe eine Adresse für einen Mann in England. Wartet, bitte, danke.« Emanuel beginnt in seinen Papieren zu wühlen. »Vorzüglich
guter Mann. Er heißt Toby Makenzi, und mit seiner Hilfe werde ich hoffentlich die Befindlichkeit meiner Schwester entdecken.«
»Emanuel, warum du kommst nicht mit uns nach Polen?«, fragt Jola freundlich. Der Junge braucht eine Mutter, keine Schwester,
denkt sie. Vielleicht sogar einen kleinen Bruder.
Und Tomasz sagt: »Emanuel, wenn du Polen kommst, zeige ich dir, wie man singt und die Gitarre spielt.«
Jolas Meinung nach singt Emanuel jetzt schon weit besser als Tomasz.
»Ich frage mich, wo Vitali ist«, sagt Marta. Jola ist nicht entgangen, wie Marta Vitali aus den Augenwinkeln angesehen hat,
mit einem Blick, der nur eines bedeuten kann, und sie denkt, es ist doch ironisch, gelinde gesagt, dass eine so religiöse
Frau sich von einem Mann angezogen fühlt, dem die Sünde aus jeder Pore strömt. Aber so ist es ja oft.
Dann fängt Tomasz wieder an, mit seinem Hundeblick.
»Ich gehe mit euch nach Dover. Von dort nach Polen. Schiff, Bus. Wir gehen zusammen. Vielleicht braucht dein Junge einen Vater?
Was meinst du, Jola?«
Jola lächelt unverbindlich. »Erst besorg dir neue Schuhe.«
Haare zu lang.
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