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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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außer dass er ein Mobilfon und bessere Hosen
     besitzt. So weit hat Vitali ihn also gebracht. So weit haben Vitali und Irina ihn gebracht. Ja, er hat gedacht, Vitali wäre
     sein Freund, dabei hat er die ganze Zeit was auf die Seite geschafft. Das hier, das sind seine wahren Freunde. Hey, Hund!
     Aber Hund schnüffelt an den Straßenlaternen herum. Hey, Emanuel! Emanuel hat eine halbvolle Tüte Chips mit Bacongeschmack
     im Biergarten gefunden, die er mit Andrij teilt, er schüttelt die letzten Krümel auf die Hand. Die künstlichen Aromasalze
     lösen sich auf der Zunge auf, geschmacksverstärkt und giftig.
    |132| »Hey, Emanuel. Du magst Angeln? Vielleicht wir haben großes Glück.«
    »Sikomo. Angeln ist sehr interessant. Doch wo erhalten wir gute Netzwerke?« Dann singt Emanuel: »
Ich werde euch zu Menschenfischern machen

    Sie schlendern zum Pier hinunter. Der bulgarische Junge, der ihm gestern den Fisch verkaufte, hat gesagt, so könnte man hier
     in der Stadt am besten schnelles Geld machen. Am Ende einer Seitenstraße, mitten in einem Labyrinth von PKW- und LK W-Parkplätzen , gar nicht weit von der Stelle, wo der Wohnwagen steht, finden sie den Eingang zum Admiralty Pier. Es muss einmal ein prächtiges
     Gebilde gewesen sein, doch jetzt sind die verschnörkelten Eisenträger baufällig und schmutzig, voller Taubendreck, und hinter
     der Brüstung verwesen ein paar tote Tauben. Wenn man den Pier betritt, schlägt einem der Gestank entgegen.
    Am Eingang hängen ein paar Männer herum mit einer Auswahl von Angelruten und blauen und gelben Eimern.
    »Wollt ihr kaufen oder mieten?«, fragt der ältere der beiden, der trotz der Hitze eine schwarze Wollmütze tief über die Ohren
     gezogen hat. Auf seinen Armen und Schultern unter dem schwarzen Unterhemd hat er eine unglaubliche Menge von Tätowierungen.
     »Miete macht fünf Kröten pro Tag. Oder ihr kauft für fünfundzwanzig. Super Gerät. Super Kapitalanlage. Das habt ihr in fünf
     Tagen wieder drin, und ab dann macht ihr reinen Profit. Bleibt ihr ’ne Weile in der Stadt?«
    Der Mann redet zu schnell. Andrij ist mit seinem Englisch am Limit. Was soll es kosten, fragt er sich.
    »Was ist das?«
    »Qualitätsware. Die Dinger werden auch von Weltklasse-Sportanglern verwendet. Neulich hat ein Typ von hier oben einen fünfundzwanzig
     Pfund schweren Dorsch geangelt. |133| Hat fünfzig Piepen dafür eingestrichen. Cash auf die Hand.« Er mustert Andrij und Emanuel, als würde er ihr Potential abschätzen.
    »Ihr habt jeden Abend Essen auf dem Tisch, und den Überschuss könnt ihr an uns verkaufen. Ein Pfund pro Kilo. Leicht verdientes
     Geld. Keine Steuer. Keine Fragen. Könnt damit machen, was ihr wollt. Fünfer pro Tag. Probiert es aus.«
    Andrij nimmt sich eine Angelrute und sieht sie sich an. Seit seiner Kindheit war er nicht mehr angeln, aber so schwer kann
     es nicht sein – dieser Bulgare hat auch nicht besonders helle gewirkt.
    »Fünf Kröten? Fünf Pfund?«
    »Du hast’s erfasst, Kumpel. Mit der Flut ist ein großer Makrelenschwarm angesagt. In null Komma nichts hast du die Kohle drin,
     und den ganzen Rest kannst du deiner Lady nach Hause bringen.«
    Andrij gibt ihm fünf Pfund. Der Mann überreicht ihm eine Angelrute und einen blauen Eimer.
     
    Als der ukrainische Fahrer das Tor passiert hatte, lag vor uns das schimmernde weiße Feld, das ich gestern von den Hügeln
     aus gesehen hatte. Von oben hatte es ausgesehen wie in Plastik eingepackt, und jetzt zeigte sich, dass es genau so war – Reihe
     für Reihe von Plastiktunneln, Folienplanen über Metallreifen gespannt. In der Mitte jedes Tunnels verlief eine Reihe von Strohballen,
     bedeckt von mit Erdbeeren bepflanzten Kompostsäcken. Ein Undercover-Obstgarten. Die Luft war feucht und warm, süß von den
     reifen Erdbeeren, und da war noch ein anderer, chemischer Geruch, der mir am Gaumen klebte. Ich hatte solchen Hunger, dass
     ich trotz des Geruchs nicht anders konnte – mit beiden Händen fing ich an, mich mit Erdbeeren vollzustopfen. Die anderen lachten.
    |134| »Du kannst keine echte Erdbeerpflückerin sein, Irina! Es ist verboten, die Erdbeeren zu essen. Wenn sie dich erwischen, schmeißen
     sie dich raus«, sagte Oksana, die mich anscheinend unter ihre Fittiche genommen hatte. Oksana kam aus Charkiw, war ein bisschen
     älter als ich und sehr nett, wenn auch nicht besonders kultiviert – aber das schien inzwischen nicht mehr so wichtig.
    Auch Boris, der Vorarbeiter, kam aus der Ukraine.

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