Caravan
und Andrij trinken ihr
Bier langsam, um mehr davon zu haben.
Sofort will Vitali wissen, was aus Irina geworden ist, und die Art, wie er redet, wie er zwischen Ukrainisch und Englisch
hin- und herspringt, ist unangenehm großspurig.
»Ich dachte, du und sie, ihr habt Chance gemacht. Ich kann für sie netten Job in London finden. Tanzen. Kann sie tanzen? Gutes
Geld. Luxusunterkunft.«
Als Andrij von der nächtlichen Entführung berichtet, pfeift er durch die Zähne.
»Dieser Mr. Vulk ist sehr schlechter Mann. Wirft schlechtes Licht auf Beruf des Personalvermittlungsagent.«
»Er ist Personalvermittlungsagent?«
»Ja, klar. Aber nicht so wie ich. Nicht dynamisch Personalberater mit Qualifikation für Flexivorausbeschäftigung. Er macht
mehr Auslandskontakt. Mein Kontakt ist Arbeit für Leute, die mit Fähre ankommen. Dynamische Führungslösung für jede Art Beschaffungsorganisation.«
»Und er wohnt hier in Dover?«
»In einem Hotel, nicht weit, glaube ich.«
»Kannst du mich zu ihm bringen?«
»Aha! Denkst immer noch an Chance bei ukrainisches Mädchen.«
Andrij zuckt betont gleichgültig die Schultern. »Na ja. Natürlich will ich wissen, wo sie ist. Aber sie hat schon Freund,
glaube ich. Box-Champion.«
Vitali sieht ihn komisch an. »Boxer? Ist ungewöhnlich für hochklassiges Mädchen. Angliski?«
»Vielleicht. Ich glaube.« Auch er hat seine Zweifel, was diesen Freund angeht.
|130| Aus irgendeinem Grund ist er wütend auf Vitali. Wo hat er die Kleider her, die Sonnenbrille, das Telefon? Und wie ihn am Fährterminal
die Frauen angehimmelt haben! Das hat er doch nicht nur mit dem Aufschlag auf das Bier geschafft, oder? Und warum behält er
alles für sich? Die Erdbeerpflücker haben alles geteilt, nur Vitali hat die ganze Zeit heimlich was auf die Seite geschafft.
Und wie schnell die Verwandlung vom Gleichgestellten zum Höherrangigen gegangen ist. Verflucht noch mal! Über Nacht. Er kennt
das aus der Ukraine – an einem Tag waren sie alle Genossen, und am nächsten Tag waren ein paar Millionäre und der Rest hatte … Zuteilungskarten. Wie war das passiert? Wusste keiner. Aber es hatte einen üblen Nachgeschmack hinterlassen.
Was kann man schon mit Zuteilungskarten machen? Essen kann man sie nicht. Ausgeben kann man sie nicht. Man kann sie höchstens
verkaufen. Aber wer will sie schon kaufen? Plötzlich waren die Millionäre Milliardäre, und der Rest hatte gerade genug für
die Kohle im Winter, und das war’s, bye-bye, Ende, aus. Heute wurde das ganze Land von Mobilfon-Männern regiert.
Und dieser Vitali – wenn er Irina findet, glaubst du etwa, er ruft auf dem Mobilfon an und sagt, hey, Andrij, mein Freund,
komm und hol dir deine Chance? Unwahrscheinlich. Und was würde sie von diesem neuen Personenvermittlungs-Mobilfon-Mann Vitali
halten? Sie hält sich für was Besseres – die neue hochklassige ukrainische Frau –, vielleicht ist dieser Vitali genau ihr Geschmack. Hallo, Mobilfon-Geschäftsmann – hier ist Irina am Apparat – willst du
eine Chance? Und wenn sie Vitali eine Chance gibt, was kümmert es dich, Andrij Palenko? Auf einmal ist er stinkwütend auf
beide, Irina und Vitali.
»Und ich habe ein Mädchen, eine Angliska«, sagt er nachdrücklich |131| . »Vagvaga Riskegipd. In Sheffield. Ich bin auf dem Weg zu ihr.«
Wieder sieht Vitali ihn komisch an. »Hör zu, mein Freund, wenn ich Vulk sehe, frage ich, was mit diesem ukrainischen Mädchen
passiert ist.«
Fast hofft er, dass Vitali ihm einen Job anbietet – gutes Geld, Luxusunterkunft und so weiter –, nur damit er in den Genuss kommt, ihn auszuschlagen. Aber das tut er nicht, und Andrijs Stolz lässt nicht zu, dass er ihn
bittet. Sie verabreden sich im selben Pub am nächsten Tag um die gleiche Zeit. Als Vitali davonschlendert, nimmt er das Handy
aus der Tasche, fängt zu reden an und gestikuliert mit der freien Hand, wie um seine Worte zu unterstreichen. Andrij versucht
zu verstehen, welche Sprache er spricht.
Die Sonne brennt herunter und wirft kurze, scharfe Schatten auf den rissigen Bürgersteig. Mit Hund und Emanuel wandert Andrij
zum Wohnwagen zurück. Er ist immer noch wütend, und er ärgert sich auch über das Geld, das er für Vitalis doppelten Scotch
ausgegeben hat. Aber am schlimmsten ist, er fühlt sich schäbig, arm und unattraktiv. Ist er neidisch auf Vitali? Wie erbärmlich
ist es, neidisch auf jemanden zu sein, der auf allen Ebenen minderwertig ist,
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