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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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standen mehrere
     überquellende schwarze Müllsäcke, die mit ihrem üblen Gestank die Luft verpesteten.
    |124| »Hier«, sagte der Fahrer und zeigte auf die linke Doppelhaushälfte. »Hier du wohnen.« Und dann, wie um ihn zu trösten, zeigte
     er auf die rechte Seite. »Und hier ich.« Tomasz nahm seinen Seesack und hängte sich die Gitarre über die Schulter. Na ja,
     es war nicht schlecht, zur Abwechslung mal in einem richtigen Haus zu übernachten, dachte er, und wenigstens würde er nachts
     die Augen zumachen können und die Tür.
    »Wenn du fertig, gehen Büro da drüben.«
    Der Fahrer zeigte auf ein Tor, hinter dem sich ein großer Hof und ein niedriges Backsteingebäude befanden, vor dessen Tür
     mehrere Autos geparkt waren. Dahinter führte ein Asphaltweg zu mehreren riesigen grünen hangarartigen Hallen, etwa zwanzig
     Meter voneinander entfernt. Daher kam der Gestank, stellte Tomasz fest.
     
    ICH BIN HUND ICH BIN TRAURIGER HUND MEIN GUTER-FÜSSEGERUCH-MANN IST FORT MEINE SALBE-AUF–PFOTE-FRAU IST FORT MEINE GUTER-GERUCH-UNTERM-ROCK-FRAU
     IST FORT ALLE FORT LEBWOHL HUND SIE SAGTEN LEBWOHL HUND ICH BIN GUTER HUND ICH BIN TRAURIGER HUND ICH BIN HUND
     
    Der Gestank, der von der Hühnerfarm kam, war schon schlimm, aber Tomasz war nicht gefasst auf das, was ihn erwartete, als
     er die Tür des kleinen Häuschens öffnete: Es stank nach toter Luft, nach Schweiß, Urin, Fäkalien, Sperma, ungewaschenem Haar,
     Mundgeruch, schlechten Zähnen, verrottenden Schuhen, schmutziger Wäsche, altem Essen, Zigaretten und Alkohol. Es war der Gestank
     der Menschheit. Und obwohl Tomasz eigentlich gegen solche Gerüche weniger empfindlich war als die meisten, musste er würgen
     und sich Mund und Nase zuhalten.
    |125| Im Erdgeschoss gab es zwei Zimmer. Durch die offene Tür des einen Zimmers sah er einen Tisch mit sechs Stühlen, auf dem die
     fettigen Reste einer Mahlzeit darauf warteten, dass jemand sie wegräumte. Das andere Zimmer ging nach vorn, und als Tomasz
     die Tür öffnete, schlug ihm eine heiße, stinkende Wolke verbrauchter Luft entgegen. Sechs – nein, sieben schlafende Körper
     lagen auf Matratzen am Boden, umgeben von ihren armseligen Besitztümern, die aus Taschen und Tüten quollen – ein Durcheinander
     von Schuhen, Kleidern, Wäsche, Papieren, Zigarettenpäckchen, Flaschen und anderem menschlichem Schutt. Die Schläfer schnarchten
     und röchelten leise im Chor. Hastig wich Tomasz zurück und schloss die Tür wieder.
    Oben war es das Gleiche. In einem Zimmer, dem kleineren der beiden, lagen vier Matratzen auf dem Boden, so dicht beieinander,
     dass man darauftreten musste, um auf die andere Seite des Raums zu kommen, und auf jeder Matratze lag ein schlafender Mann.
     Im anderen Zimmer, dem größeren, lagen sechs Matratzen mit sechs Schläfern. Nein – eine Matratze in der Ecke war noch frei,
     und Tomasz sank der Mut, als ihm klar wurde, dass sie für ihn gedacht war.
    Er ging wieder hinunter ins Esszimmer, setzte sich auf einen Stuhl, und mit einer Niedergeschlagenheit, die schon beinahe
     beglückend war, begann er Gitarre zu spielen. Das also waren seine neuen Verhältnisse. Was war er mehr als das Bruchstück
     einer kaputten, zerrütteten Menschheit, angespült an diesem fernen Gestade? Hierher hatte ihn seine Reise geführt.
    Da musste ein Song drin sein.
     
    Ich wurde von Vogelgezwitscher geweckt, das so süß und nah war, dass ich eine Minute lang glaubte, ich sei wieder in unserem
     Wohnwagen. Dann öffnete ich die Augen und sah |126| mich um. Wo war ich? Schräge Sonnenstrahlen fielen durch ein staubiges Fenster. Jetzt erinnerte ich mich wieder: Irgendwann
     in der Nacht war ich von dem dreibeinigen Stuhl gestiegen und hatte mich in die Plastikplane am Boden eingerollt. So musste
     ich geschlafen haben. Meine Kleider waren immer noch feucht. Kein Wunder, dass ich völlig steif war. Ich stand auf und streckte
     mich, meine Arme und Beine schmerzten, als ich sie dehnte.
Ushas!
Was für eine Nacht. Ich erinnerte mich, dass ich geträumt hatte – einen dieser schrecklichen Träume, wo man läuft und läuft,
     aber nicht von der Stelle kommt. Einer dieser Träume, wo man froh ist, wenn man dann an einem sonnigen Morgen aufwacht.
    Mein Magen knurrte – die Pommes von gestern Abend hatten nicht lange vorgehalten. Als ich die Tür aufschob und ins Freie trat,
     hatte der Regen aufgehört, und der Himmel war klar, nur am Boden standen noch ein paar Pfützen. Wenn es in Kiew geregnet

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