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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hat,
     glänzen die goldenen Kuppeln morgens in der Sonne wie frisch gewaschen, und auf den Straßen steht Wasser in den Schlaglöchern.
    »Pass mit den Pfützen auf«, sagte meine Mutter immer, wenn ich zur Schule ging, aber ich wurde trotzdem jedes Mal nassgespritzt.
    Ich stand in einem Garten. Die alte Garage befand sich am Ende einer Kieseinfahrt. Hinter ein paar Bäumen sah ich die Schornsteine
     eines großen Hauses. Meine Schritte knirschten auf dem Kies, und irgendwo bellte ein Hund. War er angekettet? War er bissig?
     Ich blieb still stehen und lauschte. Das Bellen hörte auf. Dann hörte ich leise und von ferne ein anderes Geräusch – das Brummen
     eines Autos, das näher kam.
    Ein paar Minuten später sah ich es. Es war ein weißer Transporter. Ich stellte mich an den Straßenrand und winkte. Der Fahrer
     fuhr langsamer und winkte zurück. Blödmann – |127| sah er nicht, dass ich ihm nicht aus Spaß zuwinkte? Ich sprang direkt vor ihn auf die Straße, so dass er keine Wahl hatte,
     als quietschend anzuhalten. Jetzt ließ der Fahrer das Fenster herunter und schrie: »Du verrückt? Was das soll?«
    Der vertraute Akzent! Das runde Gesicht! Das schreckliche Hemd! Ich erkannte sofort, dass er Ukrainer war. Aus irgendeinem
     dummen Grund schossen mir Tränen in die Augen.
    »Bitte«, sagte ich auf Ukrainisch. »Bitte helfen Sie mir.«
    Er öffnete die Beifahrertür.
    »Steig ein, Mädchen. Wo willst du hin?«
    Doch als ich versuchte zu sprechen, musste ich weinen, was albern war, denn schließlich war ich am Leben und es war nichts
     Schreckliches passiert.
    »Schon gut, Mädchen. Wein doch nicht«, sagte der Fahrer. »Du kannst mit uns kommen.«
    Als der Transporter weiterfuhr, hörte ich Gemurmel hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte etwa ein Dutzend Leute, Männer
     und Frauen, die hinten im Transporter auf dem Boden hockten. Lauter junge Leute. Ein paar unterhielten sich leise. Ein paar
     dösten vor sich hin. Sie sahen aus wie Studenten. Ehrlich gesagt, sie sahen aus wie ich.
    »Hallo«, sagte ich auf Ukrainisch. Zur Antwort bekam ich einen gemischten Chor von Hallos auf Ukrainisch, auf Polnisch und
     in ein paar anderen slawischen Sprachen, die ich nicht einordnen konnte.
    »Erdbeerpflücker«, erklärte der Fahrer.
    »Was für ein Glück! Das bin ich auch.«
    Und dann erzählte ich ihm von den Wohnwagen und dem Erdbeerfeld, und plötzlich sah ich es – erhaschte im Vorbeifahren einen
     Blick auf das Wäldchen, und das Tor, und das idyllische nach Süden geneigte Feld. Aber was war mit unserem Wohnwagen passiert?
    |128| »Anhalten, bitte!«, rief ich. Kopfschüttelnd bremste der Fahrer.
    »Anhalten. Losfahren. Anhalten. Losfahren. Typisch Frau.«
    »Warte. Bitte. Nur einen Moment.«
    Ich rannte ein Stück zurück und öffnete das Tor. Der Frauenwohnwagen war fort – wie vom Erdboden verschluckt. Nur der Duschvorhang
     war noch da, die schwarze Plastikplane flatterte trübselig im Wind. Der Männerwohnwagen stand noch an seinem Platz, doch er
     hing völlig schief auf einer Achse. Auf Zehenspitzen schlich ich mich heran und spähte durchs Fenster. Er war leer. Niemand
     da. Nur das Feld voller reifer Erdbeeren. Oben auf der Kuppe konnte ich die Drossel im Wäldchen ihr Morgenlied singen hören.
    Ich kletterte wieder in den Transporter.
    »Anhalten? Losfahren?«, fragte der Fahrer.
    »Fahren wir los.«
     
    Nachdem die chinesischen Mädchen mit Mr.   Smith weggefahren sind und Vitali die Polen zu ihrem Rendezvous mit dem Minibusfahrer gebracht hat (den er »Transportmanager«
     nennt), gehen Andrij, Emanuel und Hund zum Trost ein Eis essen, um aus der Hitze rauszukommen. Sie verabreden sich für später
     mit Vitali in einem Pub in der Stadt.
    Andrij hofft, dass Vitali mit seinem neuen Mobilfon-Wohlstand sie zu einer Runde einlädt, doch es zeigt sich, dass er leider
     kein Bargeld dabei hat, und so muss Andrij mit dem bisschen, was vom Lohn von zwei Wochen Arbeit übrig ist, die zwei kleinen
     Bier für Emanuel und sich und den doppelten Scotch Cola für Vitali bezahlen.
    Sie nehmen ihre Getränke mit durch eine Tür, an der »Biergarten« steht, in einen feuchten Hinterhof, wo ein paar Bierfässer
     stehen und die Sonne es kaum über die hohen, mit |129| rußigem Efeu bewachsenen Backsteinmauern schafft. Hier draußen sind sie die einzigen Gäste. Hund findet die Reste eines Sandwichs
     in einer Serviette und verschlingt es, wobei er überall Krümel und Papierschnipsel versprüht. Emanuel

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