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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Emanuel geht auf zwei schwarze Männer zu, die kurz vor dem Knick sitzen und sich tief über ihre Angeln
     beugen. Andrij nimmt seinen Eimer und seine Angel und macht sich auf die Suche nach den Ukrainern. Er findet zwei magere Jugendliche,
     einer mit rasiertem, knubbeligem Schädel, der andere mit einem Klitschko-Bürstenschnitt.
    »Hallo, ihr zwei.«
    »Hallo, Kumpel.«
    »Und, habt ihr Glück?«
    |137| »Nicht viel.«
    Um genau zu sein, gar keins, wenn man nach dem Inhalt ihrer Eimer geht.
    »Woher kommt ihr?«
    »Vinniza. Und du?«
    »Donezk.«
    Andrij stellt sich in die kleine Lücke neben ihnen und betrachtet seine Rute – er hat dafür gezahlt, und er sollte besser
     loslegen, um das Geld wieder reinzukriegen. Dann stellt er fest, dass er keinen Köder hat. Er fragt die Jungs, ob er sich
     welchen borgen darf.
    »Brauchst keinen Köder. Mach einfach eine Feder dran. Die Makrelen halten sie für Fisch«, sagte der mit dem knubbeligen Schädel.
    »Müssen ziemlich blöd sein.«
    »Ja. Haha.« Der andere kichert.
    »Fängt hier überhaupt mal jemand was?«
    »Ja. Klar. Muss ja so sein.«
    »Ich meine, genug, um den Eimer und die Angel abzuzahlen?«
    »Ja. Ich glaube schon. Muss ja. Warum hast du den blauen genommen?«
    Andrij sieht, dass ihre Eimer gelb sind.
    »Blau, gelb. Was ist der Unterschied?«
    »Blau heißt gemietet. Musst du abends zurückgeben. Gelb kannst du behalten. Jeden Tag damit angeln.«
    »Ihr meint, ich muss den Eimer am Abend zurückgeben? Auch wenn ich gar nichts gefangen habe?«
    »Vielleicht bist du der Fisch, und er hat dich an der Angel.« Der mit dem knubbeligen Schädel grinst. »Hat nicht mal ’ne Feder
     gebraucht. Hahaha.«
    »Himmel, Arsch und Zwirn!«
    Andrij sieht sich auf dem Pier um. Die meisten haben gelbe |138| Eimer, ein paar haben blaue, und dann gibt es noch ein paar Eimer in anderen Farben, rot, grün, schwarz, grau. Selber schuld,
     Andrij Palenko, was musstest du auch auf diesen mondgesichtigen Schwachkopf hören. Er zählt die gelben und blauen Eimer und
     versucht auszurechnen, wie viel Profit Mr.   Tattoo an einem Tag gemacht hat. Leicht verdientes Geld.
    Drüben in Afrika ist Emanuel anscheinend von seinen Landsleuten allein gelassen worden und soll auf ihre Angelausrüstung aufpassen.
     Was ist da los? Emanuel hat etwas, das bei Andrij Beschützerinstinkte auslöst: Er ist eine unschuldige Seele, verloren in
     dieser Mobilfonwelt. Andrij winkt ihm zu und streckt den Daumen hoch, aber Emanuel sieht ihn nicht. Eindringlich starrt er
     aufs Meer hinaus.
    Also starrt Andrij auch auf die Wellen, trostlose, wenig aussichtsreiche Wellen, die gurgelnd gegen den Beton klatschen, mit
     fragwürdigem, ekelhaftem Müll, der ab und zu an die Oberfläche treibt. Das Meer wird überschätzt, findet er.
    Das nächste Mal, als er sich nach Emanuel umsieht, macht Emanuel ein sorgenvolles Gesicht und winkt ihn herüber. Er wirkt
     ziemlich beunruhigt.
    »Die Afrika-Mosambik-Männer haben gesagt, bitte pass auf unsere Fischi-Sachen auf, wir gehen zur Toilette. Eine Stunde. Zwei
     Stunden. Jetzt sind sie noch nicht zurück.«
    Wovon zum Teufel redet er?
    »Kein Problem, Freund.« Andrij legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Alles normal.«
    Seltsam, denkt er. Warum ist dieser Eimer rot?
    Nach ein paar Stunden sind die Mosambiker immer noch nicht zurück, und die zwei Ukrainer, die zusammen vier Fische gefangen
     haben, feiern ihren Erfolg mit einer selbstgedrehten Zigarette und einer Flasche Bier und dann noch |139| ein paar Flaschen. Sie bieten Andrij auch eine an, aber er schüttelt den Kopf. Er trinkt genau so gern Bier wie jeder andere,
     aber an der Art, wie diese Kerle trinken, ist etwas Verzweifeltes. Von Donezk kennt er das zur Genüge – einer trinkt ein Bier,
     dann noch ein paar, und dann springt er aus Spaß in den Fluss, zur Abkühlung, und das war’s, bye-bye, die Leiche wird nie
     gefunden, Ende, aus.
    Ein kühler Wind ist aufgekommen, und die, die eine Jacke dabeihaben, machen den Reißverschluss zu. Die, die keine dabeihaben,
     Andrij und Emanuel eingeschlossen, fangen an zu frieren. Das Wasser klatscht und gurgelt jetzt lauter, und manchmal spritzt
     die Gischt bis zu ihnen herauf. Die Flut ist da. Dann breitet sich Aufregung am Pier aus. Ein Makrelenschwarm wurde gesichtet
     und ist eindeutig auf dem Weg zum Pier. Aber er scheint nie anzukommen.
    Gegen Abend fangen die meisten Angler an einzupacken. Unten am Angliski-Ende wurden ein paar größere Fische

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