Caravan
gefangen. Auch
der Balkan hatte Glück, und dort bricht ein Streit um den Fang aus. Andrij hat immer noch nichts gefangen.
»Hey, Kumpel«, sagt der Ukrainer mit dem Klitschko-Bürstenschnitt. »Du solltest den Eimer und die Angel einfach behalten.
Warum soll Mr. Tattoo ihn wiederkriegen? Dann hast du wenigstens was für dein Geld. Fünf Mäuse, das ist doch Diebstahl. Nächstes Mal holst
du dir besser einen gelben wie wir. Gute Investition.«
Hm. Scheint was dran zu sein an dem, was der Typ sagt.
»Aber steht der Tattoo-Mann nicht am Eingang zum Pier und wartet?«
»Du kommst ganz leicht an ihm vorbei. Komm, Landsmann, wir helfen dir ein bisschen. Wir stecken deinen blauen Eimer einfach
in unseren gelben.« Er greift nach seinem Eimer und kippt mit einer schnellen Bewegung die vier kleinen |140| Fische in Andrijs Eimer. »Siehst du? Wir nehmen jeder eine Angel. Und dann treffen wir dich im Pub – da drüben.« Er zeigt
ans Ufer. »Du kaufst uns ein Bier und kannst Eimer und Angel behalten.« Er strahlt ihn mit vielen Zähnen an. »Okay?«
»Okay.«
Andrij fragt sich, wo der Haken ist, aber wenn man nicht mal seinen Landsleuten trauen kann, wem dann?
Plötzlich hört er einen Schrei aus dem afrikanischen Sektor.
»Hol ihn rein! Hol ihn rein!« Ein großer Mann mit Wollmütze sagt Emanuel, der mit seiner Angel kämpft, was er tun soll. Die
Angel ist zu einem Bogen gespannt. Emanuel holt die Schnur ein, doch plötzlich geht es nicht weiter und er fängt zu zerren
und zu reißen an.
»Ruhig, ruhig«, sagt der mit der Wollmütze. »Du musst ihn ganz sanft reinholen.«
Emanuel fängt wieder zu kurbeln an. Dann durchbricht etwas Großes, Silbernes die Wasseroberfläche und zappelt und spritzt
über den Wellen. Aufregung erfasst die Angler, und auf einmal stehen alle da und sehen dem Spektakel zu. Der Fisch ist schwer
und wild und kämpft um sein Leben. Vorsichtig holt Emanuel ihn ein, und er landet mit einem unglaublichen Klatschen auf dem
Pier, wo er auf dem Beton herumzappelt und springt.
»In den Eimer damit!«, ruft einer, aber der Fisch ist zu groß für den Eimer.
»Hast du kein Netz?«, ruft ein anderer.
»Oder ein Messer? Gebt ihm jemand ein Messer!«
»Nein!«, schreit Emanuel.
Er steckt den zitternden Fisch in den roten Eimer, mit dem Maul voran in die paar Zentimeter Wasser. Der große Schwanz hängt
zuckend über den Eimerrand. Andrij drängt |141| sich durch die Menge, um Emanuel auf den Rücken zu klopfen.
»Gut gemacht, mein Freund. Wir verkaufen den Fisch und machen gutes Geld.«
Inzwischen haben sich mehrere Wollmützen versammelt, und alle spekulieren über das Gewicht des Fischs, das Höchstgebot liegt
bei zwölf Kilo.
Mr. Tattoo wartet am Ausgang und hält die Leute mit den blauen Eimern auf, wenn sie rauskommen. Sein Handlanger hat eine Federwaage,
mit der sie die mickrigen Fische wiegen, bevor sie mickrige Geldbeträge ausgeben. Als er den riesigen Fisch in Emanuels Eimer
sieht, leuchten seine Augen auf.
»Schönen Dorsch hast du da, Kumpel. Dickes Ding, wie ’n Niggerschwanz«, sagt Mr. Tattoo. »Ungewöhnlich für die Jahreszeit. Leg ihn hier auf die Waage.«
»Dieser Fisch ist nicht zu verkaufen. Er ist mein«, verkündet Emanuel entschlossen. »Ich habe ihn gefangen. Und ich behalte
ihn.«
Mr. Tattoo kneift die Augen zusammen. Die Nixe auf seinem Bizeps scheint die Stirn zu runzeln.
»Schön und gut, Kumpel. Dem Angler sein Fang. Ist ’n freies Land. Aber du musst mir die Angel und den Eimer zurückgeben.«
Er greift nach der Angel. Doch Emanuel hält sie fest.
»Nein! Das ist die Angel und der Eimer von den Afrika-Mosambik-Männern.«
Eine kleine Menschenmenge hat sich gebildet. Andrij hält sich am Rand der Gruppe und versucht sich unsichtbar zu machen.
»Und was ist mit dem Gerät, das ihr gemietet habt?« Mr. Tattoo kann den Blick nicht von dem Fisch losreißen. »Du musst das Zeug zurückgeben, Kamerad. Gibbi zurücki |142| Eimeri. Oder gibbi Fischi. Comprendi?« Er ist laut geworden.
»Nein!« Emanuel wird nervös. »Eimeri ist von meinen Mosambik-Freunden, gehen Toilette.«
Mr. Tattoo verzieht das Gesicht. »Igitt! Das ist ja ekelhaft. Seid ihr Neger nicht stubenrein? Am Ende vom Pier gibt es ein Scheißhaus
für so was.«
Selbstgefällig sieht er sich in der Menge nach Lachern um. Andrij zieht den Kopf ein. Er wartet auf den Moment, sich dünnzumachen
und unbemerkt vom Kai zu verschwinden, aber der
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