Caravan
Träume und Ideale sind mit ihm gestorben: Solidarität, Menschlichkeit, Selbstachtung.
Alles, woran er geglaubt hat, ist zu Staub zerfallen, und die neue Welt wird von Mobilfon-Männern regiert.
Später, als Emanuel mit der Angel und dem Eimer der Mosambiker zurückkommt, hellt sich seine Stimmung ein bisschen auf.
Liebe Schwester,
nun bin ich in Dover. Alle Mzungus abgesehen auf Andree sind abgereist, und anstelle von Erdbeerpflücker bin ich heute Fischer.
Dies rührt in alten Erinnerungen an unsere glücklichen Kindertage am Fluss Shire, und ich frage mich, was aus dir wurde, liebe
Schwester, und ob wir uns jemals wiedersehen. Wenn dich meine Briefe erhalten, bitte komm nach Dover, wo du mich stets am
Pier findest, denn ich bin geworden wie ein Jünger Unseres Herrn in Galiläa, auch wenn wir hier nicht mit Netzen, sondern
mit Ruten fischen.
Als wir an den Pier kamen, trafen wir einen Mzungu mit einer vorzüglichen Tätowierung auf dem Arm, das Bild einer Frau, zur
Hälfte Fisch, welche sich die Haare kämmte und in einen Spiegel in Form eines Herzens blickte. Die uneingeschränkten Wellen
ihres Haars bedeckten ihre Blöße, und unten trug sie sittsame Schuppen, die glänzten, wenn der Mzungu den Arm bewegte. Und
ich erinnerte mich an eine Geschichte, die mir ein abenteuerlicher Fischer von den Mosambiker Gestaden unseres Sees erzählt
hatte, von einer wunderschönen Frau, unten herum Fisch, die auf einem Felsen saß und die Seemänner zu Tode lockte. Handelte
es sich hier etwa um die gleiche Person!!
Auf dem Pier fand ich die Gesellschaft einiger Mosambiker
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Fischer, welche mit dem Schwager unseres Cousins Simeon in Cobué befreundet sind. Nachdem wir uns ein wenig plauderten, vertrauten
sie mir ihre Rute und ihren Eimer an und gingen fort. Doch als sie lange nicht wiederkehrten, war ich sorgenvoll, denn ich
konnte ihre Besitztümer nicht einfach zurücklassen – lautet das Sprichwort auf Chichewa nicht: Die Rute eines Mannes ist sein
größter Schatz? Also betete ich für ihre Rückkehr. Nach einigen Weilen biss plötzlich ein großer Fisch in meine Rute, und
ich erzitterte, denn der Fisch glich der schönen Frau aus der Geschichte, und es war eine schwere Aufgabe, sie aus dem Meer
zu heben, und alle Mzungus scharten sich um uns und riefen in verschiedenen Zungen durcheinander. Als ihr Zappeln schwächer
wurde, legte ich sie in einen Eimer Wasser, denn sie konnte nicht atmen, und wieder dachte ich an die Mosambiker und fragte
mich, ob sie nun mir gehörte oder ihnen? Sie war die hervorragendste Fischdame, die ich je kennenlernte, fast genau wie die
Frau aus der Geschichte.
Doch am Ende wurde meine Frage geschickt von unserem Hund gelöst, der die Fischdame ins Maul nahm und sie zurück ins Meer
brachte. Und seitdem bin ich jeden Tag mit dem Eimer und der Rute der Mosambiker an den Pier gekommen, aber weder die Mosambiker
noch die Fischdame sind je zurückgekehrt.
Zum Büro ging es durch eine Tür auf der anderen Seite des Hofs. Zuerst dachte Tomasz, es sei keiner da, aber dann tauchte
hinter dem Schreibtisch ein großer, dünner Mann mit schrecklicher Akne im Gesicht auf. Er schien hocherfreut, Tomasz zu sehen.
»Ja, Kumpel, hier bist du goldrichtig. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich bin Darren Kinsman, der Vorarbeiter |147| . Nächste Woche machen sie im Supermarkt schon wieder so eine verfluchte Werbeaktion – zwei zum Preis von einem! –, und uns fehlt noch ein Paar Hände im Fangteam. Normalerweise fangen wir sie nachts, aber die Jungs haben noch einen zweiten
Job bei Ladywash und müssen dann los. Es ist ganz einfach. Du musst nur die Hühner einfangen und auf die Lastwagen packen.
Nichts dabei. Mein Neil zeigt dir, wie es geht. In einer halben Stunde legt ihr los.«
»Kein Problem.« Tomasz fragte sich, wann der richtige Zeitpunkt war, um die Sache mit der Unterkunft zu klären.
»Und danach musst du nur die Halle schrubben für den nächsten Schwung. Nichts dabei.«
»Wie viele Hühner?«
»Reichlich. Vierzigtausend.«
»Oh.« Tomasz versuchte sich vierzigtausend Hühner vorzustellen, aber dafür reichte seine Phantasie nicht aus.
»Wo kommst du her, Kumpel? Ukraine? Hast du Papiere? SAWS? Concordia?«
»Polen.«
»Ach, Polen? Dann brauchst du keine Papiere. Wir kriegen heute nicht mehr viele Polen. Nicht seit die in der EU sind. Hör
mal, Kumpel – wie heißt du?« Er warf einen Blick auf den Pass, den Tomasz
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