Caravan
Mama, Irina nix gut arbeite, deine Familie schlimme Ärger. Vielleicht jemand tot. No prroblem. Alle Mädchen bleibe, wenn ich
das sage. In zwei drei Jahre sind wir Millionär. Und das Beste, wenn Pause hat, wenn nix mit ander Mann, dann wir mach Spaß
mit sie.«
Andrijs Brust fühlt sich an wie ein Kessel unter Dampf. |199| Beherrsch dich, Palenko. Beherrsch dich. Seine Kehle ist wie zugeschnürt, als er sagt: »Was ist mein Anteil?«
»Fifty-fifty«, sagte Vulk. »Besser Geld mit Mädchen als mit Erdbeerpflück. Erdbeer bald zu Ende. Mädchen mach weiter. Ein
Jarr, zwei Jarr, drei Jarr. Immer gut Einkommen. Kein Abzüge. Muss man kein Lohn zahle, nur Essen. Und Kleider. Hrr. Sexy
Kleider.«
»Okay. Fifty-fifty ist gutes Geschäft.«
Vulk gibt ihm seine Mobilfonnummer und beschreibt einen Rastplatz auf einer Wiese an der Sherbury Road, zwischen Canterbury
und Ashford. Andrij kennt die Stelle gut.
»Sie ist dort?«
»War dort. Ich war suche. Jetzt ist wahrscheinlich weg. Oder tot. Vielleicht Hund sie finde.«
»Wo kann sie hin?«
Vulk zuckt die Schultern. »Vielleicht London. Vielleicht Dover. Ich suche weiter. Ich hab das Passprrt.«
»Du hast Pass von Irina?«
»Ohne Passprrt kann nicht weit kommen. Vielleicht auf ander Erdbeerfarm. Gestern jemand aus Sherburry ruft an, gleich bei
Rastplatz. Habe ukrainisch Mädchen ohne Papirr. Vielleicht ist sie. Ich geh guck. Wenn ist sie, nehm ich mit. Oder vielleicht
kommt ander nett ukrainisch Mädchen mit zu Vulk. Mach Liebe. Mach Geschäft. Ich geb Passprrt. Hab viel Passprrt.«
|200| Fünf Badezimmer
Sherbury Landerdbeeren Co. war etwas ganz anderes als Bauer Leapishs dilettantisch aufgezogener Betrieb. Die Arbeit war besser,
die Bezahlung war besser, die Wohnwagen waren besser. Es gab Annehmlichkeiten wie eine Scheune mit einer Tischtennisplatte,
einem Gemeinschaftsraum, einem Fernseher und Telefon. Selbst die Erdbeeren waren besser, oder wenigstens waren sie einheitlicher
in Form und Farbe. Und trotzdem erwachte ich jeden Morgen, seit ich hier war, mit einer Leere im Herzen, als wäre da ein großes
Loch – als würde mir etwas Lebenswichtiges fehlen.
Nein, es war ganz gewiss nicht der ukrainische Bergarbeiter, den ich vermisste. Hier gab es jede Menge ukrainische Jungs,
und keiner von denen interessierte mich. Vielleicht war es die Größe des Betriebs – fünfzig Wohnwagen oder mehr standen in
engen Reihen so dicht beieinander, dass man eher das Gefühl hatte, in einer Stadt zu sein als auf einem Bauernhof. Man sah
keinen Horizont, keine Bäume, und morgens wurde man nicht von Vogelgezwitscher geweckt, sondern von Lastwagen und dem Lärm
der Männer, die die Paletten herumwuchteten. Man konnte seine eigenen Gedanken nicht hören, weil immer irgendjemand am Reden
war und ein Radio spielte. Mein Kopf schwirrte vor Fragen, und ich hätte ein bisschen Frieden und Ruhe gebraucht.
|201| Okay, ich weiß, das klingt ein bisschen arrogant, aber die Ukrainer hier waren einfach nicht mein Typ. Sie wollten immer nur
Popmusik hören und über platte Dinge reden wie, wer mit wem ins Bett gegangen war. Oksana, Lena und Tasja sagten die ganze
Zeit, hey, Irina, der Boris ist ja ganz heiß auf dich. Dieses Ferkel. Ich gehe ihm aus dem Weg. Sex nur zum Spaß interessiert
mich nicht – ich warte, bis der Richtige kommt.
Mutter hat bestimmt gedacht, dass Papa der Richtige war. Leider denkt sie das immer noch. Gestern Abend rief ich sie vom Münztelefon
an, R-Gespräch . Weil ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen machte, erzählte ich ihr einfach, dass ich jetzt auf einem anderen Bauernhof
arbeitete. Mutter fing zu weinen an und bat mich heimzukommen und sagte, wie einsam sie war. Ich schnauzte sie an, sie solle
mich in Ruhe lassen. Kein Wunder, dass Papa weggegangen war, wenn sie die ganze Zeit jammerte, sagte ich. Ich weiß, das hätte
ich nicht sagen sollen, aber es war mir einfach so herausgerutscht. Als ich auflegte, weinte ich auch.
Heute saß ich nach der Arbeit auf dem Bett und versuchte, ein englisches Buch zu lesen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren.
Den ganzen Tag musste ich weinen, ohne Grund. Was war bloß los mit mir?
Irina, ruf Mama an. Du musst dich entschuldigen. Ich weiß, aber …
Schließlich zog ich meine Jeans und den Pullover an, weil es kühler wurde, und ging zum Telefon. Ich bat jemanden, mir Geld
zu wechseln. Ein paar Leute standen draußen herum. Da sah ich ihn.
Ein Irrtum war
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