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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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beinahe eine Stunde unterwegs, auf Straßen, die
     immer schmaler und schwieriger werden, bis Vitali auf eine Einfahrt mit einem großen Schild deutet. »Buttercup Meadow Farmfrisches
     Geflügel« steht darauf, und daneben ist das Bild eines kleinen blonden Mädchens zu sehen, das einen Strauß Butterblumen in
     der Hand hält und ein flaumiges braunes Huhn an die Brust drückt. »Ihr Partner für Geflügel«, lautet der Slogan darunter.
     Es sieht alles sehr hübsch aus.
    Doch als sie sich dem Tor nähern, bietet sich ihren Augen ein wüstes Spektakel. Was ist da los? Das Eisentor steht offen,
     Polizisten in Schutzausrüstung stemmen sich gegen einen schreienden, randalierenden Mob, und dazu rennt eine Schar wild gewordener
     Hühner durch den Hof, flatternd und gackernd, immer im Kreis.
    »Was ist hier los, Vitali? Wo hast du uns hingebracht?«
    Er legt den ersten Gang ein und fährt vorsichtig durch das Tor. Plötzlich hört er ein entsetzliches hohes Geheul, und ein
     durchgedrehter Chinese mit blutbespritzten Kleidern, der ein großes Messer schwingt, durchbricht die Absperrung und wirft
     sich auf die Motorhaube des Landrovers. Aus seinen Taschen quellen Hühnerfüße.
    Wer ist dieser Mann? Was will er von ihm? Mit irren schwarzen Augen starrt er Andrij einen Moment lang durch die Windschutzscheibe
     an, und aus seinem Mund kommen wilde Laute, dann stürzen sich zwei Polizisten auf ihn und zerren ihn weg. Beim Tor ringen
     zwei andere Polizisten mit einem großen blonden Mann in Shorts und drehen ihm die Arme auf den Rücken, dann verfrachten sie
     ihn in den Polizeitransporter. Das hier ist eindeutig keine gute Situation.
    »Warum will der Chinese uns umbringen? Was soll diese Polizei, Vitali?«
    |192| »Ist okay. Polizei auf unsere Seite.«
    »Aber warum ist Polizei hier? Was ist hier los?«
    »Alles wegen Unruhestifte. Faule Chinesen, Arbeitsverweigerung. Polizei verteidigt Recht auf Arbeit. Jetzt zeigen wir ihnen
     gute ukrainisch-typische Arbeit. Gute Arbeit, gutes Geld, he, mein Freund?«
    Andrij hat ein unbehagliches Gefühl. Den überfüllten Wohnwagen durch diese Menschenmasse zu fahren, unter den Augen der Polizei,
     während vielleicht schon nach ihm gefahndet wird und er eindeutig keinen Personenbeförderungsführerschein hat, aber dafür
     einen Revolver in seinem Rucksack – ob das wirklich eine gute Idee ist? Aber nicht nur deswegen ist er beunruhigt, sondern
     auch, weil er an seinen Vater denken muss, wie er die Worte des blinden Visionärs von Sheffield wiederholte, aus der Rede
     vor all den Jahren. Er versucht sich zu erinnern – es hatte etwas mit Solidarität zu tun, mit der grundlegenden Verbundenheit
     aller Menschen und – sein Vater hat es ihm eingebläut – mit Selbstachtung. Sei ein Mann – meinte er das? Dass es Dinge gab,
     die ein Mann niemals tun sollte, für kein Geld der Welt?
    Er legt den Rückwärtsgang ein und beginnt zurückzusetzen.
    »Nein, nein! Weiter! Fahr weiter!« Wie angestochen hüpft Vitali auf seinem Sitz herum und tritt Hund aus Versehen auf den
     Schwanz. Hund jault auf und springt aus dem Landrover, dann wittert er die Hühner und taucht ein ins Getümmel.
    »Hund! Komm zurück!« Andrij tritt auf die Bremse. »Komm zurück! Hühner nicht zum Essen!«
    Doch Hund erkennt sofort, was hier gefragt ist. Endlich kann er ihnen allen zeigen, mit wem sie es zu tun haben, und nachdem
     er sich mit ein paar höflichen Wuffs durch die Menge gefädelt hat, schafft er es in kürzester Zeit, die Hühner |193| ordentlich in einer Ecke des Hofs zusammenzutreiben, wo sie etwas überrascht stehen bleiben und gehorsam vor sich hin glucken.
    Plötzlich ertönt ein markerschütternder Schrei, und eine energiegeladene Person, zierlich, doch wohlgerundet, bahnt sich einen
     Weg durch die Menge und stürzt wild gestikulierend auf sie zu.
    »Jola!«, ruft Andrij. »Was machst du denn hier?«
    »Ich will heim nach Polen! Das hier ist Hölle! Alles Betrug und Lug!«
    Dann entdeckt sie Vitali, der vorn im Landrover sitzt, und geht mit den Fäusten auf ihn los. Sie zerrt ihn aus der Tür und
     heult: »Das ist er! Der ist schuld an alle Persoflexi-Dynamo.«
    Ein Polizist versucht sie fortzuziehen, aber sie wehrt sich mit Händen und Füßen. Beißend und kratzend versucht sie sich aus
     seinem Griff freizustrampeln und tritt ihm schließlich so fest in empfindliche Körperteile, dass er sie loslassen muss. Emanuel
     ergreift ihren Arm und zieht sie hinten in den Landrover. Dann

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