Caravan
Bauernhof, wie ein seelenloser Industriebetrieb mit den großen Lagerhallen und den Lastwagen, die darauf warten, |207| beladen zu werden. Erdbeerfelder gibt es hier nicht, aber dafür beginnt hinter einem niedrigen Zaun ein Feld voller Wohnwagen – Dutzende von anonymen rechteckigen Kisten, die so dicht beieinander stehen wie Autos auf einem Parkplatz. Andrij stellt
den Landrover auf dem Hof ab und sieht sich um.
An einem Ende des Hofs ist ein Backsteingebäude, und ein paar Stufen führen zu einer Tür, auf der
Büro
steht. Die Tür ist geschlossen, aber es stehen Leute davor. Er geht auf sie zu und sagt auf gut Glück: »Ich suche nach einem
ukrainischen Mädchen. Sie heißt Irina.« Man schickt ihn von einem Wohnwagen zum anderen, und jeder erzählt irgendwas darüber,
wer wo wohnt, und das Ganze dauert ewig. Los, macht schon. Die Zeit vergeht, und sie kommen nicht voran.
Plötzlich sieht er ihn – er ist sich sicher, dass er vor ein paar Minuten noch nicht da war –; der glänzende, schwarze, kurvige
chromblitzende Geländewagen mit den getönten Scheiben und den Ledersitzen steht halb verborgen hinter einer Scheunenecke,
wie ein Raubtier auf der Lauer. In Andrijs Schädel rauscht das Blut.
»Emanuel – du fängst dort drüben an. Ich fange hier an. Klopf an jede Tür.«
Hier sind Ukrainer, Polen, Rumänen, Bulgaren, die ganze Welt scheint vertreten zu sein. Ein paar Leute kennen Irina, manche
haben sogar heute mit ihr gearbeitet. Ja, eindeutig dasselbe Mädchen. Hübsch. Lange schwarze Haare. Weiß nicht genau, in welchem
Wohnwagen. Los, macht schon, ihr Idioten. Sein Puls rast. Verzweifelt rennt er von einem Wohnwagen zum nächsten. Irgendwann
klopft er an die Tür von Nummer sechsunddreißig.
»Ja«, sagt das Mädchen. »Irina wohnt hier. Irina Blaschko. Aber sie ist rausgegangen. Und Lena auch. Vielleicht vor zwanzig
Minuten.«
|208| »Lena ist Zigaretten holen«, sagt ein anderes Mädchen. »Wo Irina hin ist, weiß ich nicht.«
Sie führen Andrij und Emanuel zum Gemeinschaftsraum in der Scheune, wo der Zigarettenautomat und das Münztelefon sind, aber
weder Lena noch Irina sind da. Inzwischen haben sich immer mehr Erdbeerpflücker versammelt, und alle machen sich auf die Suche
nach den vermissten Mädchen, im Wohnwagenpark, in der Lagerhalle, in der Scheune, auf dem Hof. Spannung und Chaos liegen in
der Luft. Jeder will wissen, was los ist. Dann macht Andrij eine Entdeckung, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt
– der schwarze Geländewagen ist verschwunden.
Ist es zu spät? Wo sind sie hin? Vielleicht sind sie schon auf dem Weg zurück nach Dover. Oder vielleicht – ja, die Stelle,
wo sie mittags angehalten haben.
Gut Platz für mach Chance.
Dort bringt Vulk seine Mädchen hin. Andrij versucht nicht daran zu denken, was er dort mit ihnen macht. Konzentrier dich auf
das, was du tun kannst. Fahr los, schnell. Jetzt ist er froh, dass er den Wohnwagen beim Erdbeerfeld gelassen hat.
»Los! Los, Emanuel! Hund! Hund!«
Der nutzlose Köter ist verschwunden. Er wird ihn später holen.
Ohne den Wohnwagen schaffen sie es in weniger als zwanzig Minuten zurück zu dem Rastplatz am Waldrand. Ein paar Meter vor
der Zufahrt bremst er, dann rollt er langsam weiter, so leise es geht. Ja, genau wie er gedacht hat, dort steht der schwarze
Geländewagen, ein kurzes Stück den Waldweg hinauf, fast versteckt unter den überhängenden Ästen eines Baums. Andrij blockiert
mit dem Landrover die Ausfahrt. Halt – bist du verrückt, Andrij Palenko? Der Kerl ist ein Killer. Doch das Gewicht des Revolvers
an seinem Schenkel macht ihm Mut. Leise steigt er aus dem Wagen. |209| Auch Emanuel steigt aus. Zusammen schleichen sie den Weg hinauf, halten sich dicht bei den Büschen.
Als sie sich dem Geländewagen nähern, sieht er, dass er schaukelt – der Wagen wippt rhythmisch in der Federung. Von drinnen
ist ein gedämpftes Stöhnen und Grunzen zu hören. Dieser Dreckskerl! Dieses Teufelsarschloch!
Sie schleichen sich näher heran. Es dämmert bereits. Die Scheiben sind getönt und von innen beschlagen, so dass sie nicht
sehen können, was im Innern vor sich geht. Doch auf der Fahrerseite ist das Fenster einen Zentimeter geöffnet. Andrij drückt
das Gesicht an den Spalt und legt die Hände um die Augen, um besser sehen zu können. Innen sind die Rückenlehnen heruntergelassen,
und er erkennt ein nacktes Mädchen, die blassen Brüste entblößt, den Kopf in den
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