Caravan
Regierungsbürokrat. Marta … was wirst du sein, Marta?«
»Ich werde Vegetarierin«, sagt Marta.
»Irgendwann ist auch Ukraine bei europäisches Marketing.« Jola küsst Andrij auf beide Wangen. »Und Afrika auch.« Sie gibt
Emanuel zwei kleine Küsse, und er wischt sich mit dem Ärmel seines grünen Anoraks über die Augen.
Wie schwer es ist, alte Grenzen einzureißen, und wie leicht, neue zu ziehen. Schweren Herzens sieht Andrij zu, wie die Fähre
ablegt. Neben dem Abschiedsschmerz bedrückt ihn auch die Tatsache, dass er von der anderen Seite dieser neuen Grenze quer
durch Europa kommt. Es wird lange dauern, bis er legal in England arbeiten kann; sogar in Russland sind die Ukrainer jetzt
illegal. Ist die Ukraine bald das neue Afrika? Er legt Emanuel den Arm um die Schultern.
»Gehen wir.«
Sie wandern durch den Hafen, wo sich eine Menschentraube gebildet hat, um die eben einlaufende Fähre zu begrüßen. Andrij bleibt
stehen und denkt an seine Ankunft vor fast einem Monat. Was ist aus dem unschuldigen, sorglosen jungen Mann mit den schrecklichen
Hosen und dem Herz voller Hoffnung geworden, der damals von Bord gegangen ist? Na ja, wenigstens die Hose ist noch da.
Bewegung kommt in die Menge. Zwei Gestalten, die beieinander gestanden haben, trennen sich und gehen in verschiedene Richtungen
davon. Andrij sieht einen glänzenden, rasierten Schädel, der sich zum Terminal bewegt – Vitali –, und erinnert sich an die 65 Pfund, die er nach dem Tanken noch in der Tasche hat. Besser, sie hauen ab, bevor Vitali sie |197| sieht. Auf der anderen Seite öffnet sich die Menge, um einen untersetzten, schwarz gekleideten Typen mit gesenktem Kopf durchzulassen,
der es eilig zu haben scheint. Andrij erkennt Vulk sofort. Sein Herz schlägt schneller. Soll er rübergehen und ihn sich vorknöpfen?
Oder soll er freundlich sein und versuchen, so Informationen aus ihm rauszuholen?
Am Ende tut er keins von beidem, sondern geht zu ihm und fragt ihn auf Englisch, ganz direkt: »Bitte, wo ist Irina?«
Vulk sieht ihn überrascht an. Er erkennt Andrij nicht. »Irina? Wer ist das?«
Rote Wut steigt in Andrij hoch. Dieser Drecksack, der versucht hat, sie zu entführen, hat sie nicht mal nach ihrem Namen gefragt.
Für ihn ist sie nur ein namenloses Stück Fleisch.
»Ukrainische Mädchen von Erdbeerpflücken. Weißt du noch? Du hast sie in dein Wagen mitgenommen?«
Vulk sieht sich nervös um. »Ukrainisch Mädchen ist nix bei mir.«
»Wo ist dann?«
»Wer bist du?«, fragt Vulk.
Andrij denkt schnell nach, dann steckt er die Hände in die Hosentaschen, kneift die Augen zusammen und versucht ein Gesicht
zu machen wie Vitali.
»Ich bin von Sheffield. Ich kenne jemand, zahlt gut Geld für Mädchen.«
Jetzt wirft Vulk ihm einen verschlagenen Blick zu. Das ist die Sprache, die er versteht. »Das ist teuer Super-Mädchen. Ich
zahle auch gut Geld dafür.«
»Ich bin Experte für Suchen nach vermisste Personen. Mein Freund hier«, Andrij zeigt auf Emanuel, »ist sehr gut bei Verfolgen
von Spuren und Fußabdruck.«
»Mooli bwanji?« Emanuel strahlt.
»Und wir haben Spürhund.«
|198| Hund macht wuff.
»Wenn du findest, du sagst mir?«
»Wie viel zahlst du?«, fragt Andrij.
»Wie viel zahlt ander Mann?«
»Sechstausend. Sechstausend Pfund, nicht Dollar.«
Vulk pfeift durch die Zähne. »Ist gut Preis. Hör zu, wir mach Geschäft. Ich geb dir dreitausend, plus Anteil von Einkommen.«
»Was für Einkommen?«
»Wenn Mädchen Geld verdient, kriegst du Anteil. Gut Geld, mein Freund. Verdient jede Nacht fünfhundrrt, sechshundrrt, vielleicht
mehr. Vielleicht bringe ich nach Sheffield. Exklusiv Massage. Ich hab Kontakt. Exklusiv Elite VIP Kliente, sonst nix. Engländer
haben ukrainische Mädchen gern. Gut sauber Mädchen ohne Freund wie das, kostet erste Mal fünfhundrrt.« Dann denkt er nach
und schüttelt seinen angegrauten Pferdeschwanz. Sein Blick wird weich. »Nein. Erste Mal will Vulk selber. Nix Geld, aber krieg
Liebe. Hrr. Mach Liebe.«
Er lächelt ein feuchtes, nikotinverfärbtes Lächeln. Andrij spürt, wie ihm das Blut in den Schläfen pocht. Er ballt die Fäuste,
aber das ist nicht der Zeitpunkt, den Helden zu markieren. Er zwingt sich zu einem Lächeln.
»Aber Mädchen, sie ist hochklassige Mädchen. Die bleibt doch nicht freiwillig. Die haut ab.«
»Hrr. Das bleibt, no prroblem. Ich habe Freund«, er zwinkert ihm zu, »Freund mach kleine Besuch bei Mama in Kiew, sagt zu
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