Caravan
und fragte mich, wo Andrij war, und fragte mich, ob er sich fragte,
wo ich war. Zimmer unter dem Dach haben etwas ungemein Romantisches an sich.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Mein Herz begann wie wild zu pochen.
»Herein.«
Doch es war nicht Andrij, sondern Mrs. McKenzie.
»Hallo«, sagte sie mit ihrer leisen, feinen Stimme, die genauso klang, wie die Seife roch. »Darf ich reinkommen?«
»Natürlich. Bitte.«
Sie setzte sich auf die Bettkante. »Hast du alles, was du brauchst?«
»Das Zimmer ist so schön.«
Es stimmte – ich fühlte mich so zu Hause wie in meinem eigenen kleinen Zimmer in Kiew. Wie kommt es, dass man manchmal, wenn
man glückliche Gedanken denkt, plötzlich Tränen in den Augen hat? Schnief, schnief. Was war los mit mir? Ich weiß nicht warum,
aber plötzlich erzählte ich ihr von Vulk, und dann stürzten die Worte nur so heraus: seine knarzende Jacke, der ekelhafte
Rattenschwanz, das nach Zigarren stinkende Auto, die durchtriebenen Augen, wie ein |241| hungriger Hund. Als ich versuchte, die Nacht auf der Flucht zu beschreiben, blieben mir die Worte im Hals stecken und ich
bekam keine Luft mehr.
Mit ihrer freundlichen Stimme sagte Mrs. McKenzie: »Weißt du, Yoga kann sehr beruhigend sein, wenn man sich entspannen will. Soll ich es dir zeigen?«
»Nein, danke, es geht schon.«
Meiner Meinung nach ist Yoga eine typisch westliche Modeerscheinung, aber ich wollte sie nicht beleidigen, und außerdem schniefte
ich immer noch vor mich hin.
»Hast du Heimweh nach deiner Mutter, Liebes?«
»Ja, natürlich.« Und dann platzte es plötzlich wieder aus mir heraus: »Eigentlich vermisse ich meinen Vater. Er wohnt nicht
mehr bei uns zu Hause.«
»Er wohnt nicht zu Hause?«
»Er ist ausgezogen und wohnt bei einer anderen Frau. Einer viel jüngeren.«
Als ich es aussprach, spürte ich, wie ich rot wurde. Ich wusste nicht ob vor Scham oder vor Zorn. Ich war so traurig wegen
Mama, die ganz allein in der Wohnung saß, mit dem Kater redete, allein frühstückte und allein zu Abend aß. Aber ich dachte
auch daran, wie sie ihn immer genervt hatte: Tu dies, tu das, liebst du mich, Wanja? Wenn ich mal einen Ehemann habe, werde
ich das niemals tun.
»Du liebst ihn sehr, nicht wahr?« Mrs. McKenzie lächelte.
»Nein. Überhaupt nicht.«
Dann musste ich lachen, als ich merkte, dass sie von Papa sprach, denn ich hatte gerade an Andrij Palenko gedacht und mich
gefragt, wie es sich wohl anfühlen würde, seine Arme um mich zu spüren.
Plötzlich klopfte es, und dann ging die Tür auf. Mein Herz pochte. Aber es war nicht Andrij, es war Toby.
»Ma, hast du Kondome?«, flüsterte er.
|242| Mrs. McKenzie drehte nicht einmal den Kopf. »Zweite Nachttischschublade auf meiner Seite. Aber pass auf, dass du deinen Vater nicht
aufweckst.«
»Danke, Ma.«
Hm. Interessant. Mit Erdbeergeschmack. Die sind anders als alle ukrainischen Kondome, die Andrij gesehen hat, auch wenn das
Prinzip wahrscheinlich das Gleiche ist. Aber wie sollen sie Emanuel vorführen, wie es funktioniert?
»Wir könnten ihm einen Porno zeigen.« Toby McKenzie macht ein düsteres Gesicht. »Das geilt ihn vielleicht auf. Ich könnte
was aus dem Internet runterladen. Paris Hilton und ihre Freundinnen. Dralle Biker-Tussen. Hast du das mal gesehen?«
»Pornographia?«
»Dralle Biker-Tussen. Die sind unglaublich.«
»Ich glaube, für Emanuel ist Pornographia nicht gut.«
»Stimmt«, Toby McKenzie nickt, »er ist ein ziemliches Unschuldslamm, was?«
Andrij und Toby McKenzie sitzen auf dem roten Sofa im Fernsehzimmer. Alle anderen schlafen schon. Toby trinkt Bier aus einer
Dose. Er bietet Andrij auch eins an, aber Andrij schüttelt den Kopf. Er braucht einen klaren Kopf. Dann denkt er, vielleicht
wäre es in dieser Situation besser, ein bisschen betrunken zu sein. Also nimmt er doch ein Bier und trinkt ein paar Schluck.
»Toby, mein Freund hier, Emanuel, ich mache mir Sorgen, wenn ihn allein lasse.«
»Keine Sorge, Kumpel, ich pass schon auf ihn auf.« Das kommt zu glatt heraus und ist nicht sehr beruhigend.
»Wie du sagst, er ist unschuldig. Vielleicht ist besser, wenn so bleibt.«
Toby McKenzie sieht ihn von der Seite an. »Du willst, |243| dass er unschuldig bleibt? Wofür willst du ihm dann Kondome geben?«
Andrij will etwas Hochintelligentes sagen – etwas wie, dass Emanuel aus der westlichen Kultur das Beste aufnehmen soll und
gleichzeitig das Beste von seiner eigenen Kultur
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