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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nach Kiew kamen? Und mit blauen
     und weißen Flaggen gegen eure orange Revolution protestiert haben? Mit Donbass-Dialekt? Hast du gedacht, das ist die Invasion
     der Barbaren?«
    »Das habe ich doch gar nicht gesagt.«
    »Nein, aber ich sehe dir an, was du denkst. Jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, fängst du zu grinsen an.«
    |249| »Andrij, warum sagst du denn so was?«
    »Ich weiß nicht.« Er machte ein grimmiges Gesicht und biss die Kiefer zusammen. »Ich konzentriere mich lieber aufs Fahren.
     Wo müssen wir hin?«
    »Kensington Park Road.« Maria hatte mir die Adresse herausgesucht und sie mir auf der Karte gezeigt. »Irgendwann musst du
     links abbiegen. In acht Kilometern oder so.«
    Auf der Putney Bridge blieben wir im Stau stecken, und auch auf dem Rest der Strecke war viel Verkehr, so dass, als wir in
     der Kensington Park Road ankamen, das Konsulat gerade seine Pforten schloss. Ich versuchte, die Frau am Empfang zu überreden,
     mich doch noch hereinzulassen, ich erklärte, dass mein Pass gestohlen worden sei, aber es war eine dieser hochnäsigen Ziegen,
     die aussehen, als würden sie es zu anstrengend finden, sich mit Menschen abzugeben.
    »Kommen Sie am Montag wieder.« Dann verdrehte sie die Augen und stakste in ihrem engen Bleistiftrock davon, für den sie meiner
     Meinung nach nicht die Figur hatte.
    »Und?«, fragte Andrij, der draußen gewartet hatte. Als ich ihm erzählte, was passiert war, sagte er nur: »Diese Ukrainer.
     Vergessen wohl, wo ihr Gehalt herkommt.«
    Dann wurden wir still, denn jetzt mussten wir eine Entscheidung treffen.
    »Willst du zurück nach Richmond?«, fragte er.
    »Und du?«
    »Es ist deine Entscheidung.«
    »Nein, deine.« Ich war auf der Hut, weil ich ihn nicht wieder verärgern wollte.
    »Ich mache, was du willst«, sagte er.
    »Mir ist es egal.«
    »Na dann, werfen wir eine Münze. Bei Kopf geht’s zurück, bei Zahl fahren wir weiter.«
    Er fand eine Münze in der Hosentasche und schnippte sie |250| mit dem Daumen in die Luft. Sie landete mit dem Kopf nach oben.
    »Also, wir gehen zurück«, sagte er.
    »Gut.« Ich sah die Münze an, dann sah ich ihn an. »Aber wir müssen nicht, wenn wir nicht wollen, oder?«
    »Ich mache, was du willst.«
    »Mir ist es egal. Aber eigentlich will ich nicht unbedingt nach Richmond zurück, es sei denn, du willst. Ich meine, sie waren
     sehr nett, aber   …«
    »Nett, aber verrückt«, sagte er.
    Wir lachten beide.
    »Wo willst du dann hin?« Jetzt sah er wieder aus wie Mr.   Brown.
    »Ist mir egal. Deine Entscheidung.«
     
    Dieses Mädchen – er kommt bei ihr einfach nicht weiter. Erst lächelt sie ihn an, dann redet sie kein Wort mehr, und dann lacht
     sie ihn plötzlich aus, als wäre er ein Idiot. Bei ihr ist es wie bei dem Getriebe des Landrovers: vierter Gang und Rückwärtsgang
     liegen zu dicht beieinander. Nichtsahnend fährst du im dritten, willst gerade in den vierten schalten, und plötzlich stellst
     du fest, dass du stattdessen den Rückwärtsgang reingehauen hast und eine Vollbremsung machst oder sogar rückwärts springst.
     Auf einmal lächelt sie wieder und sagt, sie möchte durch London laufen, das Globe Theatre sehen, das Tabard Inn, Chancery
     Lane, den Old Curiosity Shop. Was ist das alles für ein Zeug? Für wen hält sie ihn – für einen exklusiven VI P-Fremdenführer ? Erst mal muss er einen Parkplatz finden, weil, mit dem Wohnwagen in diesem Verkehr, das ist nicht lustig. Die meiste Zeit
     kann er nicht mal in den dritten schalten, und der zweite fliegt immer raus, so dass er im ersten fährt und sie zu viel Benzin
     verbrauchen, dabei braucht er mindestens noch einen vollen |251| Tank, um bis rauf nach Sheffield zu kommen. Wenn er Werkzeug hätte, würde er sich das Getriebe mal ansehen. Er hat gehört,
     dass das Landrover-Getriebe nicht ohne ist. Wie macht es sich wohl im Vergleich mit dem alten Saporoshez, fragt er sich. Ja,
     der hatte einen ähnlichen Getriebefehler.
    Als er dreizehn war, kaufte sein Vater einen gebrauchten himmelblauen Saporoshez 965 – sie hatten ihn liebevoll Zaz genannt,
     eine bucklige alte Kiste, wie ein lieber alter Großvater. Es war das erste Arbeiterauto, das in der Ukraine in Massenproduktion
     ging. Karosserie aus Echtmetall – nicht so ein Duroplastgerümpel wie der Trabant. Sein Vater war der Erste im Wohnblock, der
     einen besaß. Jeden Sonntag wusch und polierte er ihn draußen auf der Straße, und manchmal verbrachten er und Andrij Stunden
     zusammen mit

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