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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Englands.«
    »Wirklich? Dabei stand in meinem Buch, Sheffield sei eine große Industriestadt, die nur für die Herstellung von Stahl und
     Besteck bekannt ist.« Sie sieht ihn einen Moment lang an. »Aber vielleicht komme ich mit.«
    Warum hat sie Hund die orange Schleife abgenommen und trägt sie wieder selbst? Hund hat das Ding viel besser gestanden.
    »Ich dachte, du wolltest in London bleiben.«
    »Willst du nicht, dass ich mitkomme?«
    Er zuckt die Schultern. »Wenn du willst, komm mit.«
    »Aber vielleicht könnten wir erst eine Weile in London bleiben und ein bisschen Geld verdienen. Und dann gehen wir und sehen
     uns Sheffield an.«
    Was ist bloß los mit dir, Andrij Palenko? Du bist ein Mann, oder nicht? Sag einfach nein.
     
    |257| Die Geschäftsführerin des Lokals musterte Andrij und mich von oben bis unten. Sie hatte schwarze Haare, die sie streng aus
     der Stirn gekämmt in einem Pferdeschwanz trug, ein weiß gepudertes Gesicht und knallrote Lippen. Warum schminkte sie sich
     so stark? Es sah schrecklich aus. Mit einem roten Fingernagel tippte sie sich gegen die Zähne. »Ja, wir bräuchten eine Küchenhilfe
     und jemand Vorzeigbares für den Gastraum.« Sie sah mich an. »Hast du schon mal gekellnert?«
    »Natürlich«, log ich. »In der Goldenen Birne. Skoworoda. In Kiew.« Was konnte schon so schwierig daran sein, jemandem einen
     Teller Essen auf den Tisch zu stellen?
    »Hast du einen schwarzen Rock, schwarze Schuhe und eine weiße Bluse?«
    »Natürlich«, log ich. Ich hatte nie gelogen, bevor ich nach England kam. Inzwischen wurde ich richtig gut darin.
    Wir einigten uns darauf, dass wir am nächsten Tag anfangen würden, zwei Schichten, von elf bis drei und von sechs bis Mitternacht.
     Es gab vier Pfund pro Stunde für die Küchenhilfe, das doppelte im Gastraum, plus einen Anteil am Trinkgeld, und Kost und Unterkunft.
     Sie redete sehr schnell, ohne uns anzusehen.
    »Wir brauchen keine Unterkunft«, sagte Andrij. »Wir haben unsere eigene.«
    »Der Lohn ist der Gleiche, mit Unterkunft oder ohne«, sagte sie. »Ihr könnt euch entscheiden.«
    Ich rechnete kurz im Kopf nach.
    »Wir nehmen den Job«, sagte ich dann. »Ohne Unterkunft.«
    Andrij war ein bisschen bockig, als ich ihn bat, mir Geld zu leihen, damit ich mir für den Kellnerjob etwas zum Anziehen kaufen
     konnte. »Du musst kapitalistisch denken«, sagte ich. »Sieh es als Investition.« Und ich versprach ihm, |258| mein Geld und mein Trinkgeld mit ihm zu teilen. Ich hatte einen Laden mit einem großen Schild im Fenster gesehen, auf dem
     »SALE 50   %« stand, und freute mich schon darauf, mich dort umzuschauen. Das würde ich gleich morgen früh vor der Arbeit tun.
    Als wir zum Wohnwagen zurückkamen, war das Tor zu dem Gelände mit einem Vorhängeschloss versperrt, aber das war nicht schlimm,
     denn wir wollten sowieso nicht wegfahren. Wir hatten einen Bärenhunger. Maria hatte uns ein wahres Festmahl ihres seltsamen
     Essens eingepackt. Sogar ein paar Dosen Fleisch für den Hund hatte sie dazugetan, aber Andrij erklärte, das sei lächerlich,
     der Hund solle rausgehen und sich ein paar Tauben fangen, und nachdem er den armen Kerl vor die Tür geschickt hatte, aß Andrij
     das Hundefutter selbst.
    Es gab einen peinlichen Moment, als ich auf die Toilette musste, doch zum Glück war es inzwischen dunkel. Auch das Umziehen
     hätte peinlich werden können, aber Andrij war ein echter Gentleman und tat so, als würde er eins meiner Bücher lesen, während
     ich in mein Nachthemd schlüpfte – dabei kann er gar nicht richtig Englisch lesen   –, und als er an der Reihe war, sich umzuziehen, tat ich das Gleiche. Aber einen Seitenblick riskierte ich heimlich. Mmh.
     Eindeutig interessanter ohne die ukrainische Hose.
    Ich legte mich in die Koje, wo Jola geschlafen hatte, und Andrij nahm Martas alte Koje. Das große Bett klappten wir gar nicht
     erst aus, denn das hätte geheißen, dass wir zusammen schlafen würden. Es war so still in dem warmen, geschlossenen Raum, wir
     konnten einander atmen hören. Ich stellte mir vor, wie es wäre, zusammen im großen Bett zu schlafen. Denn er hatte wirklich
     schöne Hände. Sonnengebräunt, mit goldenen Härchen. Und Arme. Und Beine. Und er ist wirklich ein Gentleman, mit guten Manieren,
     genau |259| wie Mr.   Brown, der immer bitte und danke und Verzeihung sagt. Außerdem gefiel mir, wie höflich er mit Emanuel sprach und mit Toby
     McKenzies Eltern, und sogar mit dem Hund, und wie aufmerksam er

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