Carina - sTdH 3
anfängt. »›Weh denen, die die Schuld mit
Ochsenstricken herziehen und Sündenstrafen mit Wagenseilen.‹ Jesaja 5, Vers i8.«
»Um Himmels
willen!« rief der Squire aus und regte sich noch mehr auf.
»Ja«, sagte
der Vikar und stieß einen gewaltigen Seufzer aus. »Schuld und Sündenstrafen ...
Die Eitelkeit führte zu meinem Ruin.«
Der Squire
bemerkte erst jetzt, daß das Gesicht des Pfarrers ungeschminkt und seine
dickliche Figur nicht mehr in ein Korsett gezwängt war.
»Ja, meine
eigene Tochter spuckt mir ins Gesicht. Ich habe eine Schlange an meinem Busen
genährt!« stöhnte der Vikar und griff zitternd nach der Flasche, um sich von
neuem einzuschenken.
»Carina?«
fragte der Squire.
»Ja, sie«,
sagte der Vikar. »Es ist nicht meine Schuld. Sie hat mir gesagt, daß sie Desire
heiraten will. Ich habe sie nicht dazu gezwungen. Aber sie sagt, daß sie ihn
heiratet, weil alle Männer sowieso gleich sind und ich der schlimmste von allen
bin. Sie ... sie hat mich ›einen egoistischen, angestrichenen, aufgeblasenen
Tölpel‹ genannt. Und es ist wahr. Nachdem sie das gesagt hatte, bin ich in
mein Zimmer gegangen und habe mich im großen Spiegel angeschaut. Es fiel mir
wie Schuppen von den Augen, als ich diesen schrecklichen kleinen geschminkten
Schmierenkomödianten sah, der mir da aus dem Spiegel entgegenstarrte.«
»Na, na,
na«, meinte der Squire begütigend. »Weißt du, das Problem ist doch, Chales,
wenn du du selber bist und deine übliche ländliche Kleidung trägst, bist du ein
ausgesprochen gutaussehender Mann. Aber mit deiner Schminke und mit ... äh ...
deinen anderen Schönheitsmitteln war es, wie wenn man einem Fremden begegnet,
und es war auch sehr lästig. Denk nur daran, wie grausam ich zu dir war. Es war
sehr grob und ungezogen von Carina, so etwas zu sagen, aber ich bin überzeugt,
daß sie nur dein Bestes wollte – genau wie ich.«
»Ja, du
hast recht«, sagte der Pfarrer. »Aber Carina ist über irgendetwas
furchtbar unglücklich. Sie ist nicht mehr die alte, überhaupt nicht mehr.«
»Ich habe
dich zu Unrecht beschuldigt, daß es dir am rechten Glauben fehlt«, machte der
Squire einen zaghaften Vorstoß. »Hast du schon einmal daran gedacht, das
Schicksal deiner Tochter in Gottes Hände zu legen?«
»Seinen
Willen geschehen lassen? Ich finde das verdammt schwer. Ich sag' dir eins,
Jimmy, meine Gebete sind wie bunte Seifenblasen. Ich schicke sie zum Himmel und
sage: ›Dein Wille geschehe‹, aber noch bevor sie oben sind, rufe ich:
›Heh, wart ein bißchen. Ich mach' es so, wie ich will‹, und lasse die
Seifenblasen platzen.«
Es folgte
ein langes Schweigen.
Ein paar
winzige Schneeflocken flogen gegen die Fensterscheibe und blieben auf dem Rasen
liegen. Der Wind heulte plötzlich im Kamin auf, und große gelbe und rote
Flammen zischten nach oben und verloschen wieder. Ein kleiner rotbestirnter
Himmel blieb an der berußten Rückwand des Kamins zurück.
»Etwas ist
mir ein Rätsel, und ich glaube, daß es etwas mit Carina zu tun hat«, unterbrach
der Squire das Schweigen. »Es war in der Nacht, als du das Dorf alarmiert hast,
daß sie verschwunden ist. Ich wollte dir gerade erzählen, was ich wußte, aber
als ich meinen Mantel und meine Stiefel angezogen hatte, kam bereits ein Junge
aus dem Dorf angerannt, um mir zu sagen, daß man sie gefunden hatte.« Er fuhr
fort zu erzählen, wie er eine junge Frau wie Carina gesehen hatte, die zwei
Hutschachteln trug und auf der drüberen Seite des Teiches vorbeieilte, und wie
er später Lord Harry mit zwei Schachteln hatte zurückkommen sehen.
Der Pfarrer
saß ganz aufrecht da und bewegte seine Lippen lautlos, da er versuchte, einen
Zusammenhang herzustellen.
»Wentwater«,
sagte er schließlich, worauf ihn der Squire mit wachen Augen anblickte. »Bei
allem, was unheilig ist. Sie hat Wentwater aufsuchen wollen, um nicht heiraten
zu müssen, und Desire hat es herausgekriegt. Warum will Desire sie trotzdem
heiraten, hm? Was weiß ich über diesen Lord Harry? Was? Schien mir ein recht
liebenswerter Kerl zu sein. Wo ist Wentwater?«
»Weg. Er
hat das Dorf am Morgen, nachdem wir Carina vermißt haben, verlassen.«
»Aha! Ich
frage mich, ob ich etwas von Lady Wentwater erfahren kann. Nein.
Zeitverschwendung.«
Er setzte
sich gemütlich in seinem Sessel zurecht und sah sich selbst so ähnlich, daß der
Squire fühlte, wie ihm sentimentale Tränen in die Augen schossen.
Der Wein in
der Flasche wurde weniger und der Tag draußen dunkler,
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