Carina - sTdH 3
als der Vikar so dasaß
und nachdachte.
»Carina war
schon immer ein Dickkopf«, sagte er. »Sie mochte Lord Harry von Anfang an nicht,
nicht ein bißchen. Dann ändert sie plötzlich ihre Meinung. Sie ist zu ihm zwar
immer noch unhöflich und kurz angebunden, hat aber doch eine gewisse
Ausstrahlung. Als sie dann an jenem Abend zurückkam, wurde sie hart und kalt
und bitter. Jetzt ist sie noch verbitterter, und, verdammt noch mal, ich
glaube, sie hat regelrecht Angst vor Lord Harry. Weißt du was, Lord Harry hat
in jener Nacht etwas über sie herausgefunden und zwingt sie jetzt, ihn zu
heiraten.«
»Du meine
Güte«, sagte der Squire. »Ich frage mich, was. Glaubst du nicht, daß da irgend
etwas faul mit Wentwater war?«
»Nein«,
antwortete der Vikar gedehnt. »Er war hinter Emily her. Aber keiner hat ihn mit
Carina gesehen. Lord Harry ist das Problem, da kannst du sicher sein. Es muß
etwas so Schlimmes sein, daß sie es nicht einmal Minerva und Annabelle gesagt
hat. Ich habe die beiden gefragt, bevor ich abreiste, aber sie fanden offenbar
alles in Ordnung. Natürlich ist Annabelle noch ganz erfüllt von all den
Abenteuern im Krieg, und Minerva ist so mit Julian beschäftigt, meinem Enkel«,
fügte er unnötigerweise hinzu, und Stolz schwellte seine Brust, »daß sie
sowieso nichts merken.
Ich gehe in
die Hauptstadt zurück, um alles herauszukriegen. Ich will sie mir beide genau
ansehen und mir überlegen, wie ich die Hochzeit abblasen kann. Denn merk dir
eins, Jimmy, diese Hochzeit findet nicht statt, oder ich heiße nicht Charles
Armitage.«
»Minerva!«
»Ja, mein Liebling?«
Lady
Sylvester ließ ihr Nähzeug sinken und lächelte ihren Mann an. Lord Sylvester
streckte seine elegant bekleideten Beine aus und musterte die goldenen Quasten
seiner Stiefel.
»Ich mache
mir Gedanken um deine Schwester.«
»Carina?
Aber warum? Sie soll doch einen sehr passenden jungen Mann heiraten.«
»Aber ich
habe nicht den Eindruck, daß sie heiraten will«, sagte Lord Sylvester. Seine
grünen Augen begegneten denen seiner Frau, und er verriet mit keinem
Wimpernzucken seine innere Bewegung, darin einer Katze ähnelnd. »Ich glaube,
dein sauberer Papa war mal wieder auf der Suche nach Geld, als wir fort waren.
Lady Godolphin hat mir gestanden, daß er Lord Harry Desire einen Antrag gemacht
hat.«
Minerva
warf den Kopf zurück. »Meine Schwester darf nicht zu einer Heirat gezwungen
werden. Ich werde mit Papa reden.«
»Nein,
meine Liebe, du brauchst dich nicht dafür einzusetzen. Sieh zu, daß Carina und
Desire sich möglichst selten begegnen. Wenn Carina froh darüber ist, dann weißt
du die Wahrheit. Es ist alles sehr einfach. Hochzeiten können schließlich immer
noch abgesagt werden.«
Annabelle zupfte liebevoll vor dem Spiegel an
ihren goldenen Löckchen herum und warf dem Spiegelbild ihres Mannes einen Kuß
zu. »Warum so feierlich?« lachte sie.
»Carina«,
sagte der Marquess of Brabington, »fürchtet sich zu Tode vor der Heirat mit
Harry Desire.«
»Ach,
Carina«, Annabelle zuckte die Achseln. »Brimborium! Sie spielt immer Theater.«
»Aber, mein
Schätzchen, ich kann dir versichern ...«
»Du kannst
mir versichern, daß du mich auf der Stelle küßt, Peter, oder ich schreie ganz
laut.«
Eine halbe
Stunde später murmelte Annabelle träge: »Was hast du über Carina gesagt?«
»Was?«
fragte der Marquess of Brabington und ließ seine Hand langsam über die Hüfte
seiner Frau gleiten. »Ach, nichts. Es war überhaupt nichts.«
Siebtes Kapitel
Carina stahl sich leise aus dem Stadthaus
ihre Schwester Minerva am St. James-Square und atmete auf.
Der Boden
war dünn mit Schnee überzuckert. Es war ein kalter, feuchter Tag; die schweren,
tiefhängenden Wolken versprachen noch mehr Schnee.
Die
Ereignisse der vergangenen Woche waren Carina ein Rätsel. Sie mußte sich nicht
mehr darum bemühen, Lord Harry aus dem Weg zu gehen. Sie hatte im Gegenteil
kaum Gelegenheit, ihn zu sehen. Minerva nahm sie überallhin mit, oft unter den
fadenscheinigsten Vorwänden. Und gestern abend hatten Lord Sylvester und
Minerva sie in die Oper ausgeführt; Lord Harry war nicht dabei, dafür zwei
äußerst ansprechende junge Männer. Als Carina nach dem Verbleib ihres Verlobten
fragte, antwortete Minerva ganz untypisch ausweichend, daß sie vergessen habe,
ihn einzuladen.
Und wenn es
nicht Minerva war, die dafür sorgte, daß sie nicht mit ihrem Verlobten
zusammentraf, dann waren es ihr Vater und Squire Radford. Der Vikar, der
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