Carina - sTdH 3
ihre Rolläden geschlossen ließen; Ladenbesitzer, die die
Reichen bedienten und sich deshalb nach deren Zeiten richteten.
Straßenkehrer
kehrten eifrig den Platz. Ein Kind trieb einen großen Metallreifen vor sich her
und bewunderte das Muster, das er im Schnee hinterließ. Ein anderes kratzte mit
einem Stöckchen am Geländer herum. Carina betrat den Green Park und ging nur
ein kleines Stück hinein, um sich nicht zu weit von der Straße zu entfernen.
Sie wischte die dünne Schneeschicht von einer Bank und setzte sich, um etwas
Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Endlich kam
sie zu dem Ergebnis, daß sie Lord Harry unfair behandelt hatte. Sie hatte ihn
schließlich gebeten, sie zu heiraten. Es war nur fair, ihm von ihren Ängsten
und Zweifeln zu berichten. Auf dem Land war es ihr glaubhaft erschienen, daß er
sie wegen Vertragsbruch anzeigen würde, da er ja das Geld seines Onkels nicht
erbte, wenn er nicht heiratete.
Aber hier
in der Stadt war es ihr klargeworden, daß jede Menge Damen allzu gerne Lord
Harry heiraten würden, wenn er sie nur fragte. Und warum fürchtete sie sich
überhaupt vor ihm? Er war die Freundlichkeit und Anständigkeit selbst. Seine
Familie war schrecklich, aber da brauchte sie schließlich nur ihren eigenen
Vater anzusehen!
Carina
stand auf und fühlte sich zum erstenmal seit langer Zeit besser. Sie war fest
entschlossen, mit Lord Harry zu reden. Es war oft schwer, ihm einfache Dinge
verständlich zu machen, aber sie konnte es wenigstens versuchen.
Sie ging
auf das Parktor zu.
Eine große
Gestalt stand ihr im Weg.
Carina
scheute wie ein erschrecktes Pferd und schlug die Augen nieder, bereit, an dem
Mann vorbeizulaufen, falls dieser darauf bestand, ihr den Weg zu verstellen.
»Carina?
Bist du's?«
Carina
schaute verblüfft zu Guy Wentwater auf.
»Sie!« rief
sie voller Abscheu.
Sie gab ihm
einen heftigen Stoß und eilte so schnell an ihm vorbei, daß die Eisenringe an
ihren Schuhsohlen Funken aus den Kieseln schlugen.
Er lief ihr
nach, packte sie mit festem Griff und drehte sie um, so daß sie ihn anschauen
mußte. Sein Blick war flehend und voller Angst.
»Du mußt
mich anhören«, sagte er eindringlich.
Guy war
gerade erst von Silas Dubois aus dem Bett geholt worden mit dem Befehl, »es
anzupacken«.
Er war
wahnsinnig vor Angst. Er war des Herumvagabundierens und des unsteten, von den
Schatten der Vergangenheit eingeholten Lebens so überdrüssig, und er hätte sich
so gerne als Landedelmann niedergelassen. Die Heirat mit Emily Armitage würde
den Vikar in Wut versetzen und seinen eigenen Zwecken dienen. Guy, mit einer
respektablen Frau und einer respektablen Mitgift! Jetzt mußte er sich ein
anderes Mädchen suchen. Denn wenn es herauskam, daß er Carina Armitage verführt
hatte, mußte er sich in einem anderen Teil des Landes verborgen halten und
hoffen, daß der Vikar am Schlagfluß starb. Auf der anderen Seite gab es noch
Hoffnung, wenn er sie nicht wirklich verführte, sondern nur so weit brachte,
daß sie irgend etwas Dummes anstellte, damit sie ihre Hochzeit absagte.
Aber er
mußte ihre Zuneigung ganz schnell zurückgewinnen, sonst verbreitete Silas
überall das furchtbare Geheimnis seiner Geburt.
»Lassen Sie
mich in Frieden«, wütete Carina, »oder ich schreie nach der Wache.«
»Du mußt
mich anhören«, bat Guy, der sie immer noch festhielt. »Du wirst mich anhören.
Ich liebe dich noch genauso wie immer. Ja, ich habe dich schändlich behandelt.
Aber es geschah nur zu deinem Besten.«
»Wirklich?«
fragte Carina und blieb jetzt bereitwillig stehen.
»Ja«, fuhr
er eifrig fort. »Du mußt wissen, daß ich Angst hatte, daß unsere Ehe
schiefgehen würde, deine Familie würde niemals mehr mit dir reden. Ich
fürchtete, du würdest der Entfremdung von ihnen nicht gewachsen sein. Ich war
wahnsinnig vor Schmerz, als du bei meiner Tante auftauchtest. Ich mußte grausam
sein, und ich hatte das Gefühl, daß ich dir regelrechten Widerwillen gegen mich
einflößen mußte, um dich loszuwerden. Zugegeben, ich war betrunken. Das leugne
ich gar nicht. Aber ich habe seit damals nichteine Nacht
geschlafen. Bitte, sieh mich an und sag, daß du mir vergibst.«
Carina
hielt den Kopf gesenkt.
»Soviel ich
sehen konnte, hast du Emily den Hof gemacht«, sagte sie schließlich.
»Ach, das
war nur, um jedermann Sand in die Augen zu streuen. Ich habe mich so geschämt,
als ich hörte, daß du dich mit Desire verlobt hast. Ich fühlte mich dafür
verantwortlich, daß du dich
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