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Carl Tohrbergs Weihnachten: Stories (German Edition)

Carl Tohrbergs Weihnachten: Stories (German Edition)

Titel: Carl Tohrbergs Weihnachten: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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schnell, bei keinem Thema blieb sie länger als 30 Sekunden, und nie hatte sie sich mit der Abschaffung des Adels in Österreich abfinden können. Noch immer ließ sie auf ihre Briefbögen das Wappen der Familie und darunter in Englischer Schreibschrift »Stephanie Gräfin von Tohrberg-Lehrenberg« drucken. Natürlich in Stahlstich. Das »Gräfin von« strich sie dann auf jedem Bogen von Hand schräg und dünn wieder aus. Alle Familienmitglieder sprach sie in der dritten Person an: »Wie geht es ihr? Was macht er? Kann er mir bitte mal das Salz geben?« Sie beurteilte Frauen ausschließlich nach ihrem Aussehen (»sehr schöne Zähne hat sie«) und Männer danach, ob sie »müffeln« – wobei ich nie herausbekam, ob damit ihr Geruch gemeint war oder die fehlende Fähigkeit, sie zu unterhalten.
    Natürlich hatte die Familie längst kein Geld mehr. Garderobe, Reisen und Ausbildung der Kinder wurden von Verwandten bezahlt. Als einmal ein Vertreter der Salzburger Oberbank anrief und sagte, das Kapital sei aufgebraucht, erwiderte Carls Mutter, das sei ihr ganz gleichgültig, sie werde dann eben von den Zinsen leben. Bei ihrem Mann beschwerte sie sich, dass »dieser Geldmensch so schrecklich spießig« sei.
    Es gab dort oben eine Haushälterin, die im Pförtnerhaus wohnte, zwei Hunde, einen zahmen Pfau, ein altes Pony, und es kamen – vermutlich weil Carls Vater im Festspielkomitee war – fast jeden Tag andere Gäste auf den Berg. Carl war das einzige Kind. Seine Mutter war enttäuscht, dass er ein Junge war. In den ersten vier Jahren seines Lebens zog sie ihm ständig rosa und hellgrüne Dirndl an, eine ganze Anzahl solcher Fotos stand in silbernen Bilderrahmen auf dem Klavier. Als Kind war ich gern in diesem Haus und bei seinen merkwürdigen Bewohnern. Ich war zu jung, ich wusste nicht, dass dies alles meinen Freund vernichten würde.
    Als Carl 14 wurde, begann er ernsthaft zu malen. Seine Motive waren die Wiesen um das Haus. In seinem Zimmer hingen Drucke von Cézanne und Monet, anfangs versuchte er, sie nachzuahmen. Drei Jahre später hatten sich seine Bilder von allem Konkreten gelöst, die Farben flossen jetzt ineinander, sie wurden durchsichtig und schienen nur noch aus Licht und aus farbigem Wasser zu bestehen. Er versteckte sie auf dem Dachboden unter alten Leintüchern. Nur einmal wollte er die Bilder seinen Eltern zeigen. Bevor sie kamen, stellten wir sie in der Bibliothek vor die Bücher und auf eine Staffelei. Der Zeitpunkt war schlecht gewählt, seine Mutter hatte Gäste zum Abendessen. Sie sah sich die Bilder kaum eine halbe Sekunde an. Dann drehte sie sich zu den Gästen und erzählte von einer entfernten Cousine, die einen »weltberühmten Maler mit einem unaussprechlichen Namen« geheiratet habe, sie seien bei der Hochzeit gewesen, »im Süden Spaniens, mit lauter Zigeunern«. Einem eingeladenen Pianisten gefielen die Bilder, er fragte den Jungen, was er werden wolle. Bevor Carl antworten konnte, sagte seine Mutter, das wisse sie auch nicht, er sei zu ruhig, irgendwie sei er ein bisserl komisch. Dann war sie bei den neuen Schuhen von Stuart Weitzman, die »so fesch« seien. Sie wandte sich an ihren Sohn: »Sei ein Schatz, und räume das bitte weg, ja? Das ist doch keine Vernissage hier, bring das Glump in dein Zimmer, sei so lieb.« Carl nahm die Bilder und ging nach oben. Später sagte er mir, »Glump« bedeute minderwertig.
    Nach der Schule verlor ich Carl ein wenig aus den Augen. Jeder ging in eine andere Stadt und begann sein eigenes Leben. Nur manchmal trafen wir uns noch, auf Hochzeiten, Festen oder Beerdigungen.
    Als sein Vater starb, war Carl 37 Jahre alt. Im Salzburger Dom hörten wir Mozarts Requiem, die Frauen trugen Hüte, und Carls Mutter sagte mitten in der Messe: »Wenn das hier weiter so fad ist, gehe ich wieder.« Der Leichenschmaus war keine Totenfeier, sondern ein gesellschaftliches Ereignis. Nachdem alle gegangen waren, fuhren wir hoch ins Haus. Es war ein herrlicher Sommerabend, die Bastmöbel standen draußen, die Steine der Terrasse waren warm. Ich suchte den Strich auf dem bemoosten Boden, an manchen Stellen konnte man ihn noch sehen. Carl erinnerte sich nicht daran. Den sanften, langsamen Jungen, dessen schiefer Mund gezittert hatte, wenn er über Kunst sprach, gab es nicht mehr. Sobald er konnte, hatte er Salzburg verlassen und war nach Hamburg gezogen. Er hatte Mathematik studiert, nach dem Studium begann er bei einem Versicherungskonzern. Er heiratete, und weil das Paar

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