Carlotta, Band 4: Carlotta - Internat und Prinzenball (German Edition)
murmelt sie und gähnt. „So heimatlos, wie ich bin, kann man schon mal durcheinanderkommen.“
Sie gähnt noch einmal und blinzelt in den hellen Sonnenschein, der durch den Vorhang in ihr Zimmer fällt. Es ist klein und zweckmäßig eingerichtet. In einem Regal sitzt ein hellbrauner Teddy. Daneben stehen ein paar Bücher. An den Wänden hängen gerahmte Familienfotos, Poster und zwei Gummibärchenbilder von ihr. Trotzdem kommt es Carlotta nicht wie ihr eigenes Zimmer vor, sondern eher wie ein Gästezimmer. Alles wirkt irgendwie unpersönlich – trotz des Teddys, den ihre Mutter dorthin gesetzt hat, und der fröhlichen Blümchenbettwäsche. Sämtliche Möbel sind nagelneu und wirken wie von einem Spezialversandhaus für Mädchenzimmer. Das Einzige, das für ein wenig Atmosphäre sorgt, sind ihre himmelblauen Turnschuhe, die sie am Vorabend kreuz und quer durchs Zimmer gekickt hat, ihr Fotoapparat, der umgekippte Rucksack und die beiden Reisetaschen, aus denen bunte Klamotten und schmutzige Wäsche quellen.
Hoffentlich erlaubt Mam, dass ich nachher ihre Waschmaschine anwerfe, denkt Carlotta. Nicht dass der Schleudergang zu laut für die empfindlichen Nilpferdohren ist! Wie spät es wohl ist?
Sie dreht sich um und angelt auf dem Nachttisch nach ihrem Handy. Schon Viertel nach neun. Erstaunlich, dass Mam oder die Zwillinge sie nicht geweckt haben. Oder das Nilpferd mit seinen morgendlichen Ich-singe-laut-und-falsch-aber-ich-singe-gerne-Arien unter der Dusche.
Nachdem sie einen kurzen Code in ihr Handy getippt hat, stellt sie erschrocken fest, dass sie in der vergangenen Nacht fast ihr komplettes Prepaid-Guthaben vertelefoniert hat. Hat sie wirklich so lange mit Katie gesprochen? Anscheinend ja. Aber das musste sein. Unbedingt. Sie hatten sich so viel zu erzählen! Die meiste Zeit ging’s natürlich um Niko und den Kuss. Ob er eine Bedeutung hatte. Und wenn ja: welche.
Katie war der Meinung, Carlotta solle ihn lieber nicht überbewerten, weder den Kuss noch Niko. Sie hat gemeint, dass er möglicherweise ein notorischer Knutscher wäre, der ringsum Mädchen küsst, einfach so und ohne sich groß was dabei zu denken. Carlotta solle sich also lieber nicht zu viel darauf einbilden; sie wäre vielleicht nicht die Einzige.
Als Carlotta jetzt darüber nachdenkt, findet sie Katies Bemerkung ein bisschen gemein. Wahrscheinlich ist sie eifersüchtig, weil sie als Erste von ihnen einen Kuss von einem Jungen gekriegt hat. Gut möglich, denkt sie. Katie ist manchmal so.
Auf der anderen Seite will Katie unbedingt ein Foto von Niko sehen. Sie konnte kaum glauben, dass Carlotta noch keins auf ihrem Handy gespeichert hat.
„Woher soll ich das bitte nehmen?“, brummt Carlotta, während sie ihre linke Socke sucht. „Ich hätte selbst gern eins. Aber soll ich einfach ‚Cheese!‘ sagen, wenn ich Niko das nächste Mal treffe, ihm meinen Fotoapparat vor die Nase halten und abdrücken?“
Warum eigentlich nicht?, überlegt sie. Er macht es schließlich auch so.
„Nächstes Mal bin ich dran!“ Sie tippt den Teddy an. Er kippt um und bleibt auf dem Rücken liegen.
Im Handumdrehen rafft sie ihre Sachen zusammen und überschlägt im Kopf den Inhalt ihres Portemonnaies. Das reicht nie und nimmer für eine neue Guthabenkarte!
„Zum Glück gibt’s bald Taschengeld“, sagt Carlotta zu dem Teddy und richtet ihn wieder auf. „Vielleicht gibt Mam mir einen kleinen Vorschuss.“
Aus dem Garten kommen Kinderstimmen. Geschirr klappert. Wenn sie sich jetzt nicht beeilt, bekommt sie garantiert kein Frühstück mehr!
Zwei Stunden später fühlt sich Carlotta, als wäre sie per Teleportation in einem anderen Universum gelandet. Anders kann sie sich diesen Quantensprung durch Raum und Zeit nicht erklären. Kaum hatte sie ihr Frühstück beendet und wollte mit den Zwillingen spielen, da saß sie schon in der Familienkutsche und wurde aus der Stadt gebracht. Lennart und Lorenz mussten unter Protest bei ihrem Nilpferdvater bleiben, der während des gesamten Frühstücks ungewöhnlich schweigsam war und sich nur hin und wieder mit sorgenvoller Miene die linke Wange gerieben hat.
Carlotta hat sich insgeheim gefragt, wie er den Vormittag überleben soll – mit zwei lebhaften Kleinkindern und anscheinend noch lebhafteren Zahnschmerzen. Inzwischen hält sich ihr Mitleid allerdings in relativ engen Grenzen. Im Gegenteil, sie würde sogar auf der Stelle mit ihm tauschen. Jedenfalls was die Kleinkinder angeht. Die Zahnschmerzen kann er gerne
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