Carlotta, Band 4: Carlotta - Internat und Prinzenball (German Edition)
behalten.
Anstatt mit ihr in eine der kleinen, feinen Boutiquen in der Innenstadt zu gehen – was für sich genommen schon schlimm genug gewesen wäre –, hat Carlottas Mutter ein riesiges Outlet-Center in einem Gewerbegebiet angesteuert. Ein hässlicher zweistöckiger, von oben bis unten verspiegelter Klotz voller Kleider ragt vor ihnen auf.
Hilfe, ich will nicht!, denkt Carlotta, während sie ihrer Mutter zu folgen versucht, die das Geschäft zielstrebig betritt und dabei ihren Blick sofort über die langen Kleiderreihen schweifen lässt.
Carlotta schaut sich fassungslos um. Sie ist in einem Ballkleiduniversum gelandet. In einem riesigen, unendlichen Ballkleiduniversum, in dem es Millionen von Kleidern und Abermillionen von Kundinnen und weiblichen Angestellten gibt, die sich für nichts anderes zu interessieren scheinen als für gehobene Abendgarderobe. Carlotta fühlt sich nicht nur überfordert, sondern auch komplett fehl am Platz. Der Anblick all der schnatternden Frauen, die sich um brautkleidähnliche Gebilde aus Tüll, Seide und Satin drängen und dabei schrille Begeisterungsschreie ausstoßen, verschlägt ihr die Sprache. Aus ihrer Kehle entweicht ein Stöhnen.
„Ist was?“, fragt ihre Mutter.
„Nee. Doch. Das heißt, ich weiß nicht.“ Carlotta röchelt heiser. „Ich hab mir nur gerade Sofie und Manu vorgestellt und was die zu dem hier sagen würden.“
Für Sofie wär’s der Himmel auf Erden, denkt sie, und für Manu das Gegenteil: die absolute Hölle.
Sie behält ihre Gedanken für sich und unterdrückt ein weiteres Aufstöhnen, als ihr eine dicke Dame einen Ellbogen zwischen die Rippen bohrt, während sie sich auf das Objekt ihrer Begierde, ein bonbonfarbenes, mit Pailletten besetztes Etwas, stürzt.
Carlotta wendet angewidert den Blick ab. Wie soll sie das nur überleben?
„Guten Tag, mein Name ist Beatrice. Darf ich Ihnen helfen?“
Wie aus dem Nichts hat sich eine Verkäuferin vor ihnen aufgebaut. Unter ihrem linken Arm klemmt ein Notizbuch. Ihr Gesicht strahlt, als würde sie sich riesig freuen Carlotta und ihre Mutter persönlich begrüßen zu dürfen. ‚Beatrice, Einkaufsberaterin‘ steht auf einem silbernen Schild, das an ihrer Bluse befestigt ist.
Carlotta tritt einen Schritt zurück und überlässt ihrer Mutter den Small Talk. Als Beatrice hört, dass ein Ballkleid für eine junge Dame gesucht wird, ist sie entzückt.
„Eine Debütantin! Wie reizend!“, ruft sie und mustert Carlotta von oben bis unten.
Carlotta würde am liebsten in dem flauschigen Teppichboden versinken, sich in Luft auflösen oder mit einem der Kleiderständer verschmelzen. Egal was. Sie hasst es, so taxiert zu werden. Als wäre sie eine Kuh auf einer Landwirtschaftsschau. Jetzt fragt diese Einkaufsberaterin auch noch nach ihren Körpermaßen!
„Wie groß ist die junge Dame denn?“ Mit gezücktem Kuli wartet Beatrice auf die Antwort, die sie – genau wie Carlottas Konfektionsgröße – in ihr Notizbuch einträgt. „Fein. Wir messen gleich noch einmal alles genau nach. Taille, Hüfte, Brust und so weiter. Haben Sie gewisse Vorstellungen? Irgendwelche Wünsche? Soll es ein bestimmter Designer oder ein bestimmtes Label sein?“
Carlotta braucht ein Weilchen, um zu begreifen, dass die Fragen an sie gerichtet sind. Sie schüttelt den Kopf.
„Nö“, sagt sie und schiebt beide Hände in die hinteren Taschen ihrer Jeans. „Ist mir ganz egal. Es soll nur zu unserem Motto passen: Black and White.“
„Black and white, soso.“ Beatrice zieht eine kleine Schnute und klappt ihr Notizbuch zu. „Dann wollen wir mal schauen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“
Nee, will ich eigentlich nicht, denkt Carlotta. Sie kommt sich schrecklich deplatziert vor in ihren Jeans, den hellblauen Chucks und dem ausgeblichenen Blümchen-T-Shirt. Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter, die sich zwischen den teuren Klamotten so sicher und elegant bewegt, als wäre es die normalste Sache der Welt und das Ballkleiduniversum ihr natürlicher Lebensraum. Carlotta kann nicht umhin, sie für ihr Selbstbewusstsein zu bewundern.
Nach geschätzten fünf Kilometern erreichen sie unter Beatrices Führung ihr Ziel und dürfen sich auf einem zierlichen Sofa ausruhen.
„Möchten Sie etwas trinken, während ich Ihnen eine kleine Kollektion zusammenstelle?“, fragt die Einkaufsberaterin. „Kaffee? Wasser? Prosecco?“
Carlotta hätte zu gerne einen Saft, aber sie schüttelt den Kopf. Ihre Mutter lehnt ebenfalls ab. Beatrice schwebt
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