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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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übrig, die zur
Information der Öffentlichkeit aufgestellt werden. Alle Namen müssen mit
gleichen Buchstaben anfangen. Geronimo Giraffe, Penelope Pinguin. Da die Tiger
aus Sibirien stammten, wurden die drei Jungen Sonja, Sascha und Sofia genannt.
Wir sahen zu, wie sie es ihrer Mama gleichtun wollten, herumschlichen und
durcheinanderpurzelten, zu tapsig für wilde Raubtiere. Wir aßen ein Eis und
Zuckerwatte und bekamen klebrige Hände. Wir pflückten einen Strauß buntes
Herbstlaub für Marta.
    Erst als wir wieder im
sonnenheißen Auto saßen, um nach Hause zu fahren, fiel mir unser
Telefongespräch ein. «Du wolltest mich doch etwas über Volleyball fragen,
richtig?»
    Ihr Gesicht wurde lang. Eben
hatte sie noch gelächelt und die leuchtend bunten Blätter wie eine
Siegestrophäe gehalten, und jetzt schaute sie untröstlich drein.
    «Ola», sagte ich, «was ist
los?»
    Sie zog ein abgegriffenes,
zusammengefaltetes Stück Zeitung aus ihrer Hosentasche und gab es mir wortlos.
Ich schlug es auf. Ich hatte es selbst schon im Globe gesehen.
    «Woher hast du das?» fragte
ich.
    «Jemand hat es zur
Gegenwartskunde mitgebracht.»
    Es war halb Neuigkeit und halb
Nachruf. Im Grunde ein Lückenfüller aus dem Sportteil, mit einem winzigen Foto,
auf dem jeder hätte sein können. In der Bildunterschrift stand, es handle sich
um Flo Hyman, Ko-Mannschaftskapitän des weiblichen Volleyballteams der USA, der
Silbermedaillengewinner. Tot. Starb bei einem Schaukampf in Japan. 31 Jahre
alt.
    «Ich habe diese Woche kaum noch
trainiert», sagte Paolina, als ich den kurzen Artikel gelesen hatte und
aufblickte. «Ich wollte — wie alt bist du eigentlich? Ich will nicht, daß du
spielst.»
    «Ach, Schatz.» Ich legte meinen
Arm um sie und zog sie an mich. «Es passiert schon nichts. Das ist doch die
große Ausnahme, es kommt ja nur einmal in einer Million vor.»
    «Ich will aber nicht, daß du
weiterspielst», beharrte sie mit einer Stimme, aus der Marias Eigensinn
herausklang.
    Als ich noch bei der Polizei
war, hatte sie immer Angst gehabt, ich könnte erschossen werden. Nimm ein Kind
und laß es eine Menge Verluste und Todesfälle erleben, und es wird entweder so
hart im Nehmen, daß es nie wieder jemanden lieben kann, oder es hat ständig
Angst.
    «Paolina», sagte ich so sanft
ich konnte, «das ist so, als wenn man vom Blitz getroffen würde. Oder vom
Eiswagen überfahren. Oder von einem Haifisch gefressen.»
    Oder wie wenn der Ehemann sich
in einen Drogensüchtigen verwandelt, dachte ich im stillen.
    «Sie war krank. Sie hatte ein
Leiden, das Marfansches Syndrom genannt wird, oder etwas Ähnliches. Es befällt
vorwiegend große, dünne Sportler — also hör mal, viel größer und dünner als
ich, und meistens Schwarze. Derlei geschieht nun mal, aber höchst selten.»
    «Wenn sie sich beim Spiel nicht
so angestrengt hätte —»
    «Dann hätte sie vielleicht
länger gelebt, aber ich weiß nicht, ob sie das gewollt hätte.» Ich konnte mich
lebhaft daran erinnern, Flo Hyman über das Spielfeld jagen zu sehen, als ob sie
fliegen wollte. Ich hatte damals den Olympischen Spielen zu Ehren meinen alten
Schwarzweißfernseher aus dem Schrank geholt. Wir hatten uns die
Volleyballspiele gemeinsam angeschaut, Paolina und ich, aber ich hätte gedacht,
sie sei zu klein gewesen, um sich daran zu erinnern. Ich wundere mich immer
wieder, was sie alles behält. Und was sie vergißt.
    Paolinas Stimme klang hinter
der Hand gedämpft. Ich konnte kaum etwas hören, glaube aber, sie sagte: «Ich
habe Angst», auf spanisch, wie immer, wenn sie nicht unbedingt will, daß ich es
verstehe.
    «Ist ganz in Ordnung. Es ist in
Ordnung, Angst zu haben.»
    «Ich mußte ans Sterben denken.
Ich habe Angst zu sterben, irgendwo zu sein, und niemand da, der mir sagt, was
ich tun soll, und ganz einsam zu sein.»
    Ach, du lieber Gott, hilf mir,
das klarzustellen.
    «Paolina», sagte ich langsam,
«die Leute glauben so manches, was passieren könnte, wenn man stirbt. Die einen
glauben, man kommt in den Himmel, wo es schön und friedlich ist. Andere, dazu
gehöre ich aber nicht, glauben, die Bösen kämen in die Hölle und würden
bestraft. Und wieder andere glauben, man sei einfach weg, wie beim Schlafen in
der Nacht, ohne irgendwelche Träume. Aber ich habe noch nie gehört, daß man
einsam ist, wenn man stirbt.»
    Man ist einsam, solange man
lebt, dachte ich im stillen.
    Das fiel mir spätabends wieder
ein, als ich zusammengerollt auf meiner Hälfte des übergroßen

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