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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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fernhalten.»
    «Ja, gut, aber er soll sich
besser von Emanuel fernhalten.»
    «Paolina», sagte ich ruhig,
«das ist mein Ernst.»
    «Ja, klar», sagte sie.
    «Hat euch der Kerl je
belästigt?»
    «Nein.»
    «Euch angesprochen?»
    «Nein.»
    Das zweite Nein kam nach einer
kleinen Pause. Ich sagte nichts weiter. Es hatte einen falschen Klang.
    «Er verkauft Stoff», sagte sie
schließlich. «Du weißt schon, Carlotta, Drogen und so ‘n Zeug.»
    Ein Glück, daß kein besonders
starker Verkehr herrschte, denn ich war einen Moment lang das, was die Leute
meinen müssen, wenn sie «blind vor Wut» sagen. Ich sah nichts mehr. Ich hörte
nur noch schwach, daß Paolina redete.
    «Mit mir ist alles in Ordnung»,
sagte sie. «Das weißt du doch. Aber er geht direkt zur Schule. Zu richtig
kleinen Kindern aus der zweiten Klasse, kleinen Dummköpfen, die immer zeigen
wollen, wie mutig sie sind.»
    Ich sagte immer noch nichts.
Jetzt wäre ich gern noch bei den Cops gewesen. Wäre ich Polizistin, säße dieser
Kerl hinter Schloß und Riegel.
    «Carlotta —»
    «Hör zu, Paolina. Wenn er dich
je belästigt, dich je wieder anspricht, dann sag es mir. Ruf mich an.»
    «Okay.»
    «Und halt dich von dem Typen
fern.»
    «Kein Problem. Tut mir leid,
daß ich überhaupt was gesagt habe.» Sie vergrub die Hände tiefer in ihrer
Tasche und starrte auf den Fußboden mit dem sicheren Gefühl, mir die Laune
verdorben zu haben.
    Dieser verdammte Bastard von
Dealer.
    Ich langte hinüber und
tätschelte ihr die Schulter, und nach einer Weile beruhigte sie sich und
schaute aus dem Fenster.
    «Ach, Paolina», sagte ich, «ich
bin froh, daß du mir von dem Kerl erzählt hast. Danke.»
    «Kein Problem», sagte sie. Das
ist ihr Lieblingsausspruch.
    Danach brachen wir bei jedem
roten und goldenen Blatt in Ah- und Oh-Rufe aus. Ich wollte nicht an den
verfluchten Dealer denken. Dabei krampften sich nur meine Hände um das Lenkrad.
Ich dachte lieber daran, daß Paolina in Emanuel Rodriguez verliebt war. Ich
rede nicht viel über Jungen mit Paolina. Zu diesem Thema fällt mir nicht viel
ein. Manchmal mache ich mir Sorgen um sie. Fest steht, daß weder Marta noch ich
in dieser Hinsicht ein gutes Vorbild sind. Aber welche Kinder haben schon ein
perfektes Vorbild vor Augen, ein perfektes Ehe- und Familienleben, in dessen
Schutz sie wohlbehalten aufwachsen können! Wie dem auch sei, wir bewunderten
die Bäume, und ich ließ meine Gedanken schweifen...
    Den Vormittag über hatte ich
viel zu tun gehabt. Ich füllte eine Vermißtenmeldung aus, wie immer etwas
benommen von der bürokratischen Unpersönlichkeit, mit der die Hüter von Gesetz
und Ordnung das plötzliche Verschwinden eines Menschen aufnehmen. Ich hatte
kurz mit einem überarbeiteten, übellaunigen Mooney gesprochen, der mich darüber
informierte, daß er keinen Beamten eigens zur Bewachung von Margaret Devens’
Krankenzimmer bereitstellen könne, und wofür, zum Teufel, sie mich eigentlich
bezahlte.
    Dann fuhr ich hinüber in die
Bostoner City, um zu sehen, ob meine Klientin Fortschritte machte, und um ihr
eine Kopie meiner neuesten Erkenntnisse zum Fall dazulassen. Das einzeilig mit
Maschine beschriebene schlicht weiße Blatt Papier gab so wenig her, daß ich
fest darauf vorbereitet war, Margaret würde sagen, ich solle die ganze
Angelegenheit vergessen. Ich hatte sogar schon angefangen, meine Rechnung
aufzustellen.
    Ihr Gesicht sah schlimm aus,
aber ich wußte aus bitterer Erfahrung, daß die buntesten Beulen nicht die
schmerzhaftesten sind. Ein großer Kopfverband entstellte sie, doch sie hing
nicht mehr am Tropf und saß aufrecht in einem stützenden Nest aus Kissen und
strickte etwas Haferflockenfarbiges. Der Fernsehapparat war aus.
    Ihr Gesicht war so
verschwollen, daß sie ihre Lesebrille nicht auf die Nase setzen konnte, und ich
mußte ihr meinen Bericht laut vorlesen. Auf ihren Wunsch hin las ich manche
Abschnitte ein zweites Mal, während sie strickte und mit dem Kopf nickte. Es
kam mir nicht so vor, als konzentriere sie sich auf meine Stimme, aber
ebensowenig schien sie sich auf ihr Strickzeug zu konzentrieren, und trotzdem
nahm schnell ein kompliziertes Muster Gestalt an, völlig ebenmäßig und ohne daß
Maschen fielen.
    «Ein Job beim Taxiunternehmen»,
sagte sie, als ich fertig war. «Ich glaube, das ist das Beste.»
    «In Anbetracht dessen, was Pat
gesagt hat, bestimmt.»
    «Wie geht es dem Ärmsten?»
    «Er stirbt langsam, und er weiß
es und macht trotzdem noch Witze.»
    «Ach,

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