Carlotta steigt ein
alten Kumpel Sean Boyle ausersehen, der Taxi Nummer 403
fuhr. Ich konnte ihm ja kaum am hellichten Tage nachspüren. Jemandem auf den
Fersen bleiben zu müssen ist schon lächerlich genug, aber bei Tage ist es ganz
unmöglich. Bei Nacht konnte ich mein Taxilicht auf dem Dach ausschalten, um als
x-beliebiges Paar Scheinwerfer durchzugehen. Nach hartem Ringen mit Gloria
hatte ich erreicht, nur Fahrgäste mitzunehmen, wenn jedes andere Taxi in der
Stadt besetzt war. Hoffentlich gab es keinen Taifun mehr.
Der Taxibetrieb spät in der
Nacht ist in Boston sehr rege, hauptsächlich deshalb, weil die öffentlichen
Verkehrsmittel ab 0 Uhr 30 nicht mehr fahren, um die Bevölkerung davon
abzuhalten, lange aufzubleiben und sich in wilde Vergnügungen zu stürzen. Wenn
Sie Boston bei Nacht erleben wollen, können Sie sicher sein, daß sie entweder
nach Hause stolpern oder ein Taxi anwinken müssen. Fahrgäste finden sich immer
in den Vergnügungsvierteln, etwa am Kenmore Square, der Hochburg der
College-Studenten, der Discos und der Punker-Kneipen. Und in der Nahkampf-Zone,
wo die zwielichtigen Gestalten zu Hause sind und die Pornofilme laufen.
Sean Boyle fuhr kreuz und quer
durch diesen Bezirk, eingezwängt zwischen Chinatown und dem ums Überleben
kämpfenden Theaterviertel. Ein Ort, den ich am liebsten meide. Mein Taxi roch
ohnehin übel genug. Diese Gegend war ein Grund dafür, daß ich bei der Polizei
aufhörte. Sie ließen mich dauernd auf diesem verdammten Stinkloch sitzen, und
ziemlich bald hatte ich das Gefühl, die Welt sei voller elender Dreckskerle.
Alles, was ich zu sehen bekam, war die Gosse, und ich konnte meine Augen nicht
abwenden aus Angst, irgend etwas würde aus diesem Sumpf herauskriechen und ein
Messer aufblitzen lassen. Zuerst hatte ich noch ein Gefühl prickelnder
Gespanntheit, verstärkt durch uneingestandene Furcht. Das Leben gilt nicht viel
in diesem Viertel. Hier fallen die Masken, gehen die Leute richtig zur Sache.
13jährige Herumtreiber gehen für zehn Dollar mit jedem mit. Ehrbare
Vorstadtpapis bumsen Kinder, die jünger sind als ihre Töchter. «Es wird heute
spät im Betrieb, Schatz, tut mir leid, daß ich nicht mit zu Sallys Schulkonzert
kann.» Man hat die Wahl zwischen Alkoholikerwracks und rauschgiftbenebelten
ehemaligen Schönheitsköniginnen. Der ganze Bezirk bricht einem das Herz oder
verwandelt es in einen Stein. Meins muß schon zu sieben Achteln versteinert
gewesen sein, als ich endlich meine Marke hinschmiß.
Ich griff unter den Sitz und
fand, wie könnte es anders sein, ein beruhigendes Stück Bleirohr. Taxifahrer
dürfen in Boston keine Kanonen tragen. Meine war in Armesweite oben auf einer
Schicht Krimskrams in meiner Tasche, aber ich habe seit meinen letzten Tagen
bei der Polizei keinen Gebrauch mehr von einer Waffe gemacht. Ein übler Tag und
ein übler Ort, unweit der Ecke Washington und Boylston.
Boyle nahm an der Tremont eine
Rechtskurve, dann ein paar Linkskurven und schlug sich zur Pussy-Cat-Lounge
hinüber. Ein blonder Strichjunge winkte, vermutlich wollte er mein Taxi als
fahrendes Boudoir benutzen. Ich fuhr schnell vorbei und fragte mich, ob es wohl
Veteranen in diesem Bezirk gab, die noch soviel gesunde Gehirnzellen hatten, um
sich an Carlotta, den weiblichen Cop, zu erinnern.
Ich folgte Boyle die ganze
Nacht. Er beförderte verlorene Seelen in die Vororte hinaus. Einmal mußte er in
der Taxe warten, bis der Typ hineingegangen war und Knete gefunden hatte. Das
arme Schwein war wahrscheinlich von einem Strichjungen ausgenommen worden, und
es war ihm zu peinlich, um der Polizei Meldung zu machen. Boyle hielt an
verschiedenen Bars. Entweder mußte er so oft trinken oder so oft pinkeln, oder
er sammelte die Groschen und Fünfziger aus diesen grünen Büchsen ein.
Ich schrieb alles auf, die
Zeit, den Ort, alles. Wenn andere Taxen in der Gegend herumfuhren, notierte ich
mir ihre Nummer. Ich sammelte eine unglaubliche Menge Daten. Vielleicht sollte
ich sie in die Luft werfen und Zusehen, in welcher Reihenfolge sie wieder
herunterfielen. Das schien mir auf den ersten Blick das beste Ordnungsprinzip
zu sein.
Um 7 Uhr in der Frühe, als
Boyle sein Taxi abgab, hatte ich ein Gefühl mehr in meinem Hintern, ein
Berufsrisiko, das ich vergessen hatte. Ich lungerte in der Nähe der Spinde
herum, aber niemand hatte ein interessanteres Thema drauf als Baseball, und so
wartete ich ab, bis die Luft rein war.
Gloria riß sich mühsam gerade
so lange von einem Beutel Erdnüssen mit
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