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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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Falle.
    »Kennst du eure großen Büro- und Apartmentgebäude?«, fragte sie.
    »Atmoscraper. Ich wohne in einem.«
    »Schon mal unten gewesen?«
    »Klar. Mein Lieblingsrestaurant ist unten in der Lobby, da servieren sie dieses –«
    »Nein, nicht in der
Lobby
, Twitterhirn. Unten.« Obwohl sie so schnell wie möglich zu Tante Dita wollte, fuhr sie jetzt etwas langsamer, damit Ambrose Zeit hatte zu begreifen. Erneut fiel ihr auf, dass der Motor ihres Scooters so weit entfernt von den Straßen Little Saigons merkwürdig laut war. Sie wünschte, sie könnte sich einen Schalldämpfer leisten.
    Ambrose strich mit der Hand leicht über die graue Wand und hinterließ in der dicken Rußschicht eine undeutliche Spur. »Unten …«
    Mistletoe wartete, ob er auch noch mit dem Rest seines verzögerten Geistesblitzes herausplatzen würde, doch er schwieg. Also erzählte sie ihm die kurze Geschichte des subsphärischen Lebens, die sie sich aus Gesprächen mit Jiri und Tante Dita zusammengestückelt hatte.
    »Plastahl wurde erfunden. Erste Gebäude durchstießen die Wolken. Keiner, der sich ein Apartment hoch oben leisten konnte, wollte weit unten wohnen. Also blieben für Leute wie mich und Jiri die unteren Ebenen übrig, aber nach einer Weile entschieden Typen wie du, es sei zu gefährlich, reiche Leute und arme Leute im gleichen Gebäude zu haben. Sie evakuierten die ersten dreißig Stockwerke und füllten die Etagen mit zusätzlichen Plastahl-Stützen, sodass dort niemand mehr einziehen konnte. Irgendwann war’s überall so. Wir haben an den Seiten eurer Gebäude Hütten gebaut, bis weit hinauf; ihr habt den Sphärenschild angebracht. Es war ein einziges riesiges Hin und Her.«
    »Es gab Aufstände«, sagte Ambrose milde, als würde er ein wohlmeinendes, aber begriffsstutziges Kind zurechtweisen.
    Mistletoe dachte daran, ihm den Ellbogen ins Gesicht zu rammen und ihn den Abhang hinunterzustoßen. Stattdessen umklammerte sie den Lenker, bis ihre Knöchel weiß wurden, und hielt den Blick auf den Weg vor sich gerichtet. Sie versuchte, das Bild vom blutbespritzten Cop und Jiris stillem Todeskampf aus ihrem Kopf zu bekommen, doch die Szene hatte sich ihr ins Gedächtnis gebrannt. Plötzliche Übelkeit krampfte ihr Kehle und Magen zusammen.
Ich komme, Tante Dita
, dachte sie.
    »Es war keine zivilisierte Gesellschaft mehr«, fuhr Ambrose fort. »Es herrschte Chaos. Das ESC -Sphärenteilungs-Gesetz war notwendig, weil die Leute sich gegenseitig umbrachten. Ist alles archiviert. Schau her, ich kann dir Aufnahmen von der Pressekonferenz zeigen.« Er streckte ihr die Hand vors Gesicht und drehte die Innenfläche nach oben.
    Nichts geschah.
    Sie hob eine Augenbraue, als er es erneut versuchte. »Was soll das werden?«
    »Ich kann nicht online gehen. Kein Empfang.«
    »Du gehst online mit deiner
Hand
?« Sie blickte geradeaus und hielt sich dicht an der Wand, während drei altersschwache Scooter in der entgegengesetzten Richtung an ihnen vorbeischossen und eine beißende Abgaswolke hinter sich herzogen.
    »Was soll denn das heißen? Jeder geht doch –« Er hielt inne, dann setzte er noch einmal an. »Ist alles in mein oberes Rückenmark eingebettet. Empfänger, Sender, ID -Tags, alles hartkodiert. Ich kann mir jegliche Information über meiner Handfläche anzeigen lassen. In der Oberstadt ist das … nicht so ungewöhnlich.«
    Mistletoe erinnerte sich, das Ganze schon mal in den Nachrichten gesehen zu haben. Handflächenprojektion. Haufenweise Informationen, die über Händen aufpoppten und sich ebenso schnell wieder in Luft auflösten.
    »Hier unten brauchen wir dazu Handys. Und wir haben ständig nur mageren Empfang, wenn überhaupt«, erklärte sie.
    »Aber es ist ein freies Funksignal«, sagte er. »Und es ist überall.«
    Sie zuckte die Schultern. »Da oben vielleicht.« Sie fuhren an ein paar räudigen schwarzen Hunden vorbei, die sich eng an die Wand kauerten. Die wachen unter ihnen musterten sie träge, während blassrosa Zungen aus ihren Mäulern hingen. Sie spürte, wie Ambroses Griff um ihre Taille fester wurde.
    »Die beißen vermutlich auch nicht«, sagte sie.
    Ambrose schluckte. »Diese Wand mit den kaputten Fenstern gehört also zu einem unserer Apartmentgebäude?«
    »Dreißigster Stock. Höher lassen sich Hütten hier unten nicht stapeln.«
    Sie passierten ein nicht verbarrikadiertes Fenster, durch das sich düster das Innere des Gebäudes abzeichnete.
    »Was ist dann da drin?«, fragte er. »Bloß leere Etagen? Wie

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