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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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Raum widerhallten. Es herrschte völlige Finsternis. Mistletoe drosselte die Geschwindigkeit und ließ den Scooter herumwirbeln, wartete, keuchte. Die geschäftige Welt auf der anderen Seite des Fensters schien fern und nebelhaft, als hätten sie mehrere Luftschleusen passiert. Wenige Sekunden später sahen sie Schlapphuts Silhouette in dem hellen Rechteck, sein Scooter tänzelte im Leerlauf unruhig auf und ab. Mistletoe hielt den Atem an und wich noch weiter zurück ins Dunkle. Ambrose verstärkte den Griff um ihren schmerzenden Brustkorb. So lange schwebte Schlapphut dort, dass Mistletoe schon kurz davor war zu schreien, dann verschwand er.
    In langsamer Fahrt tastete sie sich weiter ins Innere vor, denn ihr war klar, dass selbst der leiseste Scooter sich hier drin wie ein Erdbeben anhörte. Nelson war zwar nicht gerade ein schnurrendes Kätzchen, aber sie konnte ihn auch nicht einfach zurücklassen.
    Weit unten ertönte ein dumpfes Grollen. Das Gebäude schien zu zittern, sein Plastahl-Gerippe rasselte wie Knochen.
    Die Geißel.
    Mistletoe stellte den Motor ab. Das Geräusch verstummte. Sie war zu ängstlich, den Scheinwerfer anzuschalten, befreite sich aus Ambroses Klammergriff und ließ sich behutsam auf den harten Boden fallen. Vorsichtig tappte sie umher, bis sie auf eine Wand oder eine der gigantischen Plastahl-Stützen stieß.
    »Hier drüben«, flüsterte sie. Kurz darauf war Ambrose neben ihr. Wenige Meter entfernt registrierte Nelson die Abwesenheit seiner Passagiere und aktivierte den Schlafmodus.
    Mistletoe schwirrte der Kopf, als sich erneut das Szenengewitter vor ihrem geistigen Auge abspulte. Jiri. Ambrose. Dita. Die Cops. Und jetzt? Was kam als Nächstes? Sie konnten hier ja nicht ewig im Dunkeln sitzen.
    Tante Dita.
Sie wollte nicht an sie denken. Sie griff nach Ambroses weich manikürter Hand und wurde sich im selben Moment der Schwielen und Schnitte auf ihrer eigenen bewusst. Gemeinsam glitten sie an der Wand zu Boden, saßen eng nebeneinander in der Stille. Mistletoe horchte darauf, wie ihrer beider Herzklopfen allmählich nachließ, Schlag um Schlag. Dieser Junge war seltsam und nervtötend, aber sie musste zugeben, dass es sich gut anfühlte, nach einer derart wilden Flucht an seinen warmen Körper gepresst dazusitzen.
    »Erzähl mir den Rest«, flüsterte sie schließlich.
    »Den Rest …«
    »Du hast die Nachricht von dieser Frau ignoriert.
Carpe somnium, Ambrose Truax.
Du bist hoch zu deinem Vater gegangen.«
    »Ich glaub echt nicht, dass … ich meine, jetzt sofort?«
    »Ich will’s einfach hören, klar? Ich muss irgendwas hören, sonst dreh ich durch.«
    Jiris flehender Blick. Tante Ditas explodierendes Haus.
    »Okay«, sagte er. »Ich hab die Nachricht ignoriert. Sie erschien mir verrückt, und es war Zeit für diese andere Sache – im obersten Stock wartete mein Vater.«
    Mistletoe schloss die Augen.
    Die Dunkelheit war dieselbe.

4

Prozedur Level Sieben
    Ambrose stapfte zurück über den verschneiten Hof der UniCorp-Zentrale, folgte den unscharfen Rändern seiner kaum mehr sichtbaren Fußabdrücke. Im Innern der Lobby schaute er sich kurz nach dem Aufseher um, der seinen Handflächen-Rezeptor gehackt hatte. Er hätte jederzeit auf die Personaldatenbank zugreifen, das Gebäude abriegeln lassen können. Er hätte Anfragen über sämtliche Sicherheitsmitarbeiter stellen können, und sie wären umgehend beantwortet worden, ohne Zweifel. Aber das war vermutlich genau das, worauf die Terroristen es angelegt hatten: ein verheerendes Störmanöver in der UniCorp-Zentrale.
    »Mr Ambrose!« Danielson trat hinter der Brunnenwand hervor und reichte ihm eine kleine hellbraune Pille. »Dachte mir, Sie hätten vielleicht gern eine Tasse Tee, bevor wir nach oben gehen. Da sind wir uns wohl abhandengekommen im großen Gewühl der Leibhaftigen, wie?« Er zwinkerte, als Ambrose die Pille schluckte. Sofort breitete sich Wärme in seinem Bauch aus, strahlte bis in seine Arme und Beine. Ein leichter minziger Nachgeschmack bildete sich in seinem Mund. Der Tee war ausgezeichnet. Langsam fing Ambrose an, sich zu entspannen.
    Sorgen machte ihm allerdings, dass der Aufseher offenbar Zugang zu jener Sorte brandheißer Transfers hatte, die in der Lage waren, seine Rezeptoren mit einem Override auszuhebeln. Ein unangemeldeter Override verstieß gegen das Berufsethos und war genau die Art von Aktion, die er von Len erwarten würde, dem nichts schnell genug gehen konnte. Doch während er die Lobby durchquerte

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