Carpe Somnium (German Edition)
ihn zu durchschauen, wie immer. Hatten sie die Übertragung bemerkt? Es gab keinen Weg, das herauszufinden. Am besten hielt er den Mund. Er versuchte sich an einem raschen Process Flow und stellte fest, wie träge er war. Einen echten Endpunkt vermochte er nicht zu erreichen. Die Röhre hatte sich in eine neue Welt geöffnet, mit ganz unvertrauten Möglichkeiten und Ergebnissen, und seine Routine war hoffnungslos durcheinandergeraten. Sein Herz hämmerte, seine Stimme jedoch klang fest.
»Wie war ich?«
»Du hast nichts getan, außer still in der Röhre zu liegen.«
»Ich meine –«
»
Wir
haben deinen Hypothalamus und die angrenzenden Strukturen des Schädels erfolgreich modifiziert. Das natürliche Bedürfnis deines Körpers nach Schlaf wird sich nie wieder bemerkbar machen.«
»Hol mich raus aus diesem Ding.«
»Dir ist schon klar, dass wir noch eine Reihe von Tests machen müssen, dass du nicht einfach so –«
»Wo ist Dad?«
Sein Vater trat in sein Blickfeld. »Wie vorausberechnet, war die Prozedur ein Erfolg. Len wird noch ein paar Diagnosetests machen, dann akklimatisieren wir dich für den Kalibrierungsprozess. Hör zu, Sohn.«
»Welcher?«, fragte Len.
»Ambrose.«
»Könntest du bitte diese Bügel lösen?«, bat Ambrose.
Sein Vater überging die Frage. »Ich will, dass du konzentriert bleibst. Du denkst vielleicht, du fühlst dich gut, aber es ist wichtig, niemals die psychologischen Auswirkungen einer Level-Sieben-Prozedur zu unterschätzen.«
Ambrose nickte knapp und fiel in den firmeninternen Wissenschafts-Jargon, wie immer, wenn er sich mit seinem Vater austauschte. »Die haben wir bei unserem ursprünglichen Process Flow bereits hinreichend einkalkuliert. Sechzehn Resultate im mittleren Spektrum mit der Folge extensiver Traumzustände unmittelbar im Anschluss an die Prozedur. Mein eigenes internes Monitoring zeigt –«
Len hüstelte spöttisch. »Und wie genau kommst du zu dieser Selbstdiagnose? Kontrollierst du, ob’s dich im Hals kratzt?«
»Leonard«, sagte Martin. Len vertiefte sich in eine Reihe von langsam rotierenden Schaubildprojektionen. »Ambrose, was dein Bruder zu sagen versucht, ist, dass du dich entspannen und uns arbeiten lassen musst.«
»Bei mir sind die Endpunkte unscharf. Wann wird meine Process-Flow-Routine wiederhergestellt sein?«
»Bald«, versicherte sein Vater ihm.
»Sie werden jetzt vielleicht einen kleinen Pieks spüren«, sagte Len, indem er seine Handflächen haarscharf vor Ambroses Stirn in Stellung brachte und die Daten in den Raum zwischen Röhre und Labordecke projizierte.
»Halt die Klappe, Len.«
Gemächlich bewegte Len seine Hände nach links und rechts bis zu den Schläfen seines Bruders, dann etwas tiefer über dessen Gesicht. Das kribbelnde Gefühl der Beinahe-Berührung ließ Ambroses Füße zucken.
»Lass mal sehen«, sagte er.
Len verschob die Datenanzeige, damit Ambrose einen Blick auf die in Untersektionen und Schnittbilder gegliederte Projektion seines Gehirns werfen konnte.
»Siehst du? Mir geht’s gut.«
Len knurrte abfällig. Das hier war nicht eben Ambroses Fachgebiet. Len wandte sich den Daten zu, griff direkt in den Hypothalamus und vergrößerte ihn, indem er ihn einfach auseinanderzog. Immer tiefer stocherte er im Hirn seines Bruders, und die Erinnerung an die Übertragung drängte sich in den Vordergrund. Ambroses gegenwärtige Realität war eine Nachbildung seiner Geburt: projizierte Hirntätigkeit, Scannerröhren, Martin Truax. Aufmerksam suchte er die Diagramme seiner Gedankenmuster nach einem Hinweis darauf ab, was er gerade dachte. Falls Len und sein Vater irgendetwas bemerkt hatten, so behielten sie es für sich.
Plötzlich durchzuckten Störbilder seinen Vater, dann löste er sich auf. Die Lichter im Raum verdunkelten sich erneut. Martin Truax seufzte. »Ich werde hier im Labor ein Stimmkonstrukt aufrechterhalten. Ich weiß nicht genau, was los ist, aber scheinbar kann ich nicht … Len, wenn du hier fertig bist, sag den Kollegen Billick und Greer, sie sollen in den Unison-Workspace flimmern. Und dieser andre, na, dieser …«
Len hob irritiert eine Augenbraue. »Chen?«
»Chen.«
»Sie haben Chen
gefeuert
, Sir.«
»Gut, sieh zu, dass das so bleibt.«
Len nickte. Ambrose wand sich unter den Bügeln, die seine Handgelenke und Knöchel einschnürten.
»He, ich muss mal auf die Toilette.«
»Verkneif’s dir.«
»Komm schon, ich steck hier seit Stunden in dieser –«
Die Bügel sprangen auf. Len
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