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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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die allmonatlichen Zockerabende, an denen er immer mit Len und ein paar UniCorp-Programmierern gespielt hatte, ehe sie ihn rauswarfen, weil er zu oft gewann. Seine Process-Flow-Routine hatte nicht nur dafür gesorgt, dass er in der Firma den Ruf eines fast unheimlichen Genies genoss, sondern ihn außerdem zu einem frustrierenden Tetra-Jack-Gegner gemacht. Und jetzt hatte er diese Routine verloren. Er spürte die Leerstelle in seinem Geist, fühlte sie pochen wie den Phantomschmerz im fehlenden Arm eines Amputierten. Was, wenn die Prozedur sie für immer ausgelöscht hatte?
    Während sie sich an den Glücksspielern vorbeidrängten, erhaschte Ambrose einen vagen Eindruck von deren kombinierten Gedanken-Streams und zuckte angesichts ihres hoffnungslosen Elends zusammen.
    »Junkies«, murmelte Takashi.
    »Jeder von uns hat seine Sucht«, sagte Sonia. »Du spielst düstere Kriegs-Rollenspiele; andere Leute spielen Tetra-Jack.«
    Ambrose streifte Sonia mit einem Seitenblick, misstrauisch ob ihres stolzen, mütterlichen Tons. Sie klang eher nach einem seiner älteren Freunde als nach Takashi oder Mistletoe. Er fragte sich, wer wohl hinter dem Sonia-Carter-Profil stecken mochte und ob seine eigene Tarnung so schlecht war wie ihre.
    Aber vielleicht war er ja bloß paranoid.
    Sie bogen erneut ab und standen in der Eingangshalle eines billigen Motels. Wohin man auch schaute, überall Blümchenmuster und sich lösende Tapeten. Sonias UniPet schmiegte sich an seine Knöchel.
    »Netter kleiner Kerl«, sagte er.
    »Ist ’n Mädchen. Und eines nicht allzu fernen Tages könnten wir alle wie sie sein.«
    »Mädchen?«
    »Nein. Nur in Unison existent.«
    Auf Sonias anderer Seite unterdrückte Takashi mühsam ein selbstzufriedenes Grinsen. Sein Stimmungsschatten flackerte hell auf. Er hatte Ambrose zum richtigen Freund geführt, und er wusste es.
    »Du meinst so was wie … eine permanente Einbettung?«, fragte Ambrose.
    Sie blickte kurz zu Takashi, der die Schultern zuckte.
    »Hab davon gehört«, sagte Ambrose schnell. »Alle reden darüber.«
    »Ahh ja«, sagte sie. »Mal ehrlich, Adam, wieso bist du hier?«
    »Takashi wusste nicht … Schätze, ich bin bloß neugierig, und Takashi dachte, du könntest mir weiterhelfen.«
    »Mag sein, aber meine Frage ist, warum du dir überhaupt einen Account angelegt hast?«
    »Wir haben grad erst das Geld dafür zusammen. Mein Dad hat seit Kurzem ’nen neuen Job, also hab ich zu meinem Geburtstag –«
    »Das erklärt,
wodurch
du hier bist. Ich frage dich,
warum

    Einen Augenblick lang war Ambrose sprachlos. Er hatte nicht erwartet, von ihr verhört zu werden. Jetzt war er sicher, dass Sonia die Tarnung eines älteren Users war. Schließlich sagte er: »Weil alle andern schon hier sind. Ich hab mich wie der letzte Mensch in Eastern Seaboard City gefühlt, der kein Log-in hat, verstehst du?«
    Die Kühle, die sich in ihren Gedanken-Stream schlich – ein wahrnehmbares Kältegefühl, das von innen an seiner Stirn schabte –, verriet ihm, dass sie von seiner Antwort enttäuscht war. Er würde ein bisschen deutlicher werden müssen, wenn er weiterhin hoffen wollte, irgendwas Nützliches in Erfahrung zu bringen. Beim Detektivspielen in Unison auf der untersten Sprosse der Leiter zu stehen – ohne Admin-Deck, ohne Zugang, ohne Netzwerk von Freunden –, das war Ambrose so fremd, wie die Welt der Oberstadt es für Mistletoe wäre. Er haderte mit seiner unbrauchbaren, möbel- und apfelverrückten ID und kämpfte gegen den Drang, auf der Stelle auszuflimmern.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab bisher einfach noch nie darüber nachgedacht. Was ich sagen wollte, ist, dass Unison irgendwie …« Er folgte Sonia und Takashi durch eine Tür, die auf die oberen Ränge eines altrömischen Amphitheaters hinausführte. Von den harten Granitbänken überblickte man eine ovale Spielfläche aus festgestampfter Erde. Kein Mensch war zu sehen. Sie setzten sich. Sonia sah ihn erwartungsvoll an.
    Er fuhr fort. »Es kam mir so vor, als würde irgendwas Wichtiges völlig an mir vorbeilaufen, und wenn ich noch viel länger damit wartete, ein Teil davon zu werden, dann wäre es schon zu anders … also so weit
weg
von mir, dass ich den Rückstand nie würde aufholen können. Ich meine, immerhin haben die doch schon ein riesiges Update gemacht, richtig?«
    Er gratulierte sich zu diesem Gesprächsköder. Freie Mitarbeiter wie Sonia hatten ständig einen direkten Draht zur Gerüchteküche von Unison. Falls sein

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