Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
Vom Netzwerk:
Hände waren zu schwer, um sie zu bewegen. Er sah nach unten und schrie: Sie waren mit riesigen
U
-Manschettenknöpfen an den Boden genagelt, goldene Dornen stachen mitten durch seine Handflächen.
    Irgendwo weit entfernt brüllte Sonia: »Ausflimmern, Takashi!«
    Er spürte ihr jähes Verschwinden als leichtes Kratzen in seinem Nasenrachen.
    Sonia Carter ist derzeit leibhaftig.
    Takashi Nakamura ist derzeit leibhaftig.
    Ambrose war allein, seine Hände plötzlich frei. Taumelnd kam er auf die Beine. Einer von Takashis grünen Drachen saß auf der Granitbank, die Flügel behutsam an die schuppenbedeckten Seiten gelegt.
    Ambrose schreckte zurück. Ein Pochen dröhnte durch seinen Schädel, sein Blick verschwamm. Sein Profil schien ihm fern und unbedeutend, eine nebelhafte Erinnerung.
    »O nein …«
    Auf dem spitz zulaufenden Eidechsenkopf des Drachen wellte sich sandfarben das Haar seines Vaters. Das Ungetüm wandte sich ihm zu und bleckte grinsend Reihe um Reihe tadellos modifizierter, weißer Zähne. Festgesteckt an den Spitzen der Flügel funkelte je ein
U
-Manschettenknopf.
    Als der Drache sprach, klang es wie die sich tausendfach überlagernde Stimme seines Vaters.
    »Daddy ist sehr enttäuscht von dir, Ambrose.«
    Er schlug die Handflächen aufeinander und flimmerte aus.
    Das römische Amphitheater verschwand, als wäre es nichts weiter als ein Bild gewesen, das jemand ihm baumelnd vors Gesicht gehalten und jetzt mit einem Ruck weggezogen hätte. Der Spiegel, der seinen Geist in Echtzeit-Wahrnehmung und Profildaten gliederte, zerbrach und hinterließ einen Augenblick fiebrigen Durcheinanders. Dann begriff er, dass er Ambrose Truax war, dass er sich in einem hohlen Stamm aus Drähten tief unter den Straßen von ESC s Subsphäre befand und dass er unerträgliche Schmerzen hatte.
    Er blinzelte gegen die Welt an.
    Seine wunden Handflächen schickten glutheiße Leuchtspuren seine Arme hinauf.
    Datenstrom-Projektionen umschwirrten ihn. Er hörte das mühsame, röchelnde Atmen von jemandem, der verzweifelt nach Luft rang, dann ging ihm auf, dass er selbst dieser Jemand war. Seine Hände waren gelähmt, hingen zu beiden Seiten an Drähten. Jäh schoss ihm das Bild des Unison-Manschettenknopfs durch den Kopf, sein Magen verkrampfte sich. Was war da eben geschehen? Sein Vater war überall und nirgends gewesen, alles zugleich.
    Nein, nicht sein Vater, besann er sich. Nicht mehr.
    »Holen Sie mich hier raus!«, rief er. Er hörte Schritte heranschlurfen. Sie klangen nach Schlagseite, als würde ein Bein wesentlich stärker belastet als das andere. Hinkte einer der Brüder? Die Drähte des Stamms teilten sich. Ivor steckte den Kopf herein und zeigte sein aufreizendes schmallippiges Lächeln.
    »Lohnender Kurztrip, wie ich hoffe.«
    »Lassen Sie mich raus.«
    Der alte Mann bückte sich und trat in den engen Raum, dann richtete er sich zu voller Größe auf, um Ambroses Handflächen vom Signalkern zu trennen.
    »Das könnte etwas wehtun.«
    Ambrose biss die Zähne zusammen, während Ivor einen langen Draht unter dem Verband an seiner rechten, dann seiner linken Hand hervorzog. Tränen stiegen ihm in die Augen. Ivor löste die Bandagen um die empfindlichen Handflächen und klatschte irgendeinen kühlen, faulig riechenden Brei darauf, ehe er sie mit frischen Verbänden versah. Der Schmerz verblasste zu einem dumpfen Pochen. Ambrose wackelte mit den Fingern. Ivor drehte sich um und verließ den Drahtstamm ohne ein weiteres Wort. Ambrose folgte ihm.
    Als Erstes fiel ihm auf, dass das Labor stank. Verglichen mit den sorgfältig kalibrierten Gerüchen in Unison roch es in dem unterirdischen Tunnel modrig feucht – erdig und ein wenig säuerlich. Als Zweites bemerkte er Ivors ausgeprägtes Hinken, das zweifellos neu war.
    »Was ist passiert? Wo ist Mistletoe?« Er sah sich um – kein Mädchen, kein Scooter. »Und wo ist Ihr Bruder?«
    Ivor sank in einen zerschlissenen grünen Sessel, den er vor die Prä-Unison-Tastaturen gerückt hatte. Der Ziegenhund trottete zu ihm hinüber und rollte sich zu seinen Füßen zusammen, den gehörnten Kopf auf die pelzigen Pfoten gebettet.
    »Wie sind deine vorbereitenden Ermittlungen gelaufen?«, fragte Ivor.
    »Irgendwas ist da drin passiert … ich kann’s nicht beschreiben. Mein Vater war überall, oder zumindest Teile von ihm. Es war, als wäre er Teil der Infrastruktur, Teil des
Systems
, was unmöglich ist, ich weiß. Aber … ich hab so was noch nie gesehen.«
    Daddy ist sehr

Weitere Kostenlose Bücher