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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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verschafft hätte. Ihr kühler, professioneller Blick wurde ihm zunehmend unbehaglich.
    »Danke«, sagte er.
    »Zum ersten Mal hier, nehme ich an?«
    »Hat grad heute seinen Account angelegt«, sagte Takashi.
    Sie lächelte. »Flimmerschock?«
    Ambrose stellte sich dumm. »Weiß nicht genau.«
    »Spürst du was in deiner Kehle? Da reichert sich der Säurerest an.«
    Ambrose machte ein übertriebenes Schluckgeräusch und zuckte die Schultern. »Ist schon okay, glaub ich.«
    Sonia winkte dem letzten Geist zu, einem kahlköpfigen alten Mann, der gerade den Raum verließ. Ambrose und Takashi hatten die Präsentation völlig verpasst, weil sie in den endlosen Korridoren von Unisons zentraler Spielewelt nur mühsam vorangekommen waren. An jeder Ecke hatten sich ihnen Ablenkungen geboten. Ein von Usern geschaffener Spielplatz wie das MIEZ war etwas, wofür Ambrose in seinem alten Leben schlicht keine Zeit gehabt hatte, und so war sein Staunen über die schiere Größe dieses Ortes vollkommen echt. Man blickte durch eine Tür und entdeckte dahinter eine endlose Landschaft mit sanft geschwungenen Hügeln, dichten Wäldern und den bröckelnden granitenen Denkmälern einer Zivilisation, die nie existiert hatte: vierarmige Riesen, ihre steinernen Glieder gezeichnet vom Alter. Eine andere Tür öffnete sich direkt ins Meer. Ambrose hatte seine Handflächen gegen die Wand aus Wasser gepresst, die wie ein windbewegtes Laken in der Türöffnung hing.
    »Machen wir einen Spaziergang«, sagte Sonia, während die Plastikstühle im Konferenzraum merkwürdig anschwollen, ihnen dicke, gepolsterte Arm- und hohe, über den Kopf reichende Rückenlehnen wuchsen. Sie sahen aus wie Antiquitäten aus einem uralten viktorianischen Salon. Angewidert schüttelte Ambrose den Kopf und erinnerte sich, dass Adam Trevor sich für Möbel interessierte. Ob Ivor es wohl darauf anlegte, ihm dieses Erlebnis so unangenehm wie möglich zu machen?
    Der beige Tisch verwandelte sich in ein tiefbraun lackiertes Ungetüm mit dunklem Kornmuster.
    »Ja«, sagte Ambrose, »lasst uns woandershin gehen. Bitte.«
    Sonia und Takashi wechselten einen raschen Blick. Sonias ausdruckslose, geschäftsmäßige Miene hellte sich auf. Schlagartig fühlte Ambrose eine unerklärliche Zuneigung zu ihr, als wären sie alte Freunde, die sich ganz überraschend wiederbegegneten und einander nun dringend lang und herzlich in die Arme schließen mussten. Takashis Gedanken-Stream hatte offenbar starken Einfluss auf seinen eigenen. Ambrose schnappte den flüchtigen Eindruck von einem Moment auf, den er nie mit Sonia erlebt hatte – eine Art sanfte, würdevoll achtsame Zurückweisung, die ihm die Kehle zuschnürte und seinen Herzschlag beschleunigte.
    Takashis Schwärmerei für Sonia war dermaßen offensichtlich, dass es schon peinlich war.
    Sie öffnete die Tür, die sich in ein schweres, mittelalterlich wirkendes Ding aus Eiche verwandelt hatte, zusammengehalten von dunklen Metallbeschlägen und riesigen schwarzen Nägeln.
    Dies ist eine getreue Nachbildung der Tür zum Thronsaal König Richards III.!
    6897 anderen Usern gefällt diese Tür.
    Draußen vor dem Konferenzraum säumten blasenförmige Temperfoam-Sessel den Korridor, die vor zwanzig Jahren der letzte Schrei gewesen sein mochten. Ambrose ignorierte die ausführlichen Möbel-Wikis, die sein Feed anzeigte. Es interessierte ihn nicht, dass Temperfoam seinen Ursprung im innovativen Matratzendesign des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts hatte. Für den Neu-User Adam Trevor wurde das MIEZ allmählich zum Möbel-Museum.
    Danke, Ivor.
    Ambrose fragte sich, ob Mistletoe dem alten Knacker wohl gehörig die Hölle heiß machte. Er hoffte es.
    »Herrje«, sagte Takashi und wich einen Schritt zurück.
    »Warum macht dieser Ort dich so wütend, Adam?«, fragte Sonia.
    Sein Gedanken-Stream zeigte seine Verachtung. Er zuckte die Schultern. »Hab grad an was andres gedacht.«
    »Du wirst schon ziemlich bald merken, dass leibhaftige Probleme hier immer unbedeutender werden«, sagte sie.
    »Aber doch nicht wirklich – ich meine, deine Schwierigkeiten da draußen
verschwinden
ja nicht einfach.«
    Sie nickte, nahm zur Kenntnis, dass er das offenbar tatsächlich glaubte. Sie bogen um eine Ecke und schoben sich an einer Traube Geisterwesen vorbei, die sich um einen Tetra-Jack-Tisch versammelt hatten. Metallisch schimmernde Karten erschienen wie Blitze über ihren Köpfen und zerflossen gleich darauf in einer Art Wasserfall. Ambrose erinnerte sich an

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