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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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enttäuscht von dir, Ambrose.
    Er schauderte. Ivor machte »Hmm«, als hätte Ambrose soeben den Geschmack eines besonders köstlichen Mittagessens beschrieben. Offenbar stimmte auch hier irgendwas nicht. Er drehte sich um und blickte zum Eingangsbereich des Labors, auf die zahllosen Prä-Unison-Geräte, die Eisentür weit am anderen Ende. Der Scooter war definitiv nicht mehr da.
    Er wandte sich wieder Ivor zu, beinah in der Erwartung, dass dessen weißes Haar sandfarben geworden war, die unförmige Knollennase sich in ein makellos modelliertes Dreieck verwandelt hatte. Doch Ivor war immer noch Ivor. Ambrose sah zu, wie er durch die Falten seines grauen Gewands sein Schienbein rieb.
    »Was ist mit Ihrem Bein?«
    Der Ziegenhund winselte. Ivor wand sich. »Ein Unfall, während du weg warst.«
    Unvermittelt spürte Ambrose ein zwiespältiges Stechen von Zuneigung und Abscheu. Er kannte dieses Gefühl seit seiner Kindheit, eine tief widersprüchliche Empfindung, die er niemals ganz und gar hatte verstehen können. Doch dieses Stechen bedeutete nur eins: Sein Bruder war in der Nähe. Er konnte das extrastarke BetterMint förmlich riechen.
    Ambrose machte einen Schritt auf den alten Mann zu. »Was haben Sie
getan
, Sie verlogener –«
    »Er kann nichts dafür, kleiner Bruder.« Len stand auf der Schwelle einer offenen Tür rechts von ihm, neben einem ausgeschlachteten Benzinauto, das hochkant an der Wand lehnte. Er betrat das Labor, flankiert von acht kräftigen Sicherheits-Mitarbeitern in schwarzen UniCorp-Jacken, Taser an den Hüften, Sturmdisruptoren auf dem Rücken.
    Lens Blick zuckte kurz zu den verbundenen Händen seines Bruders, dann wieder hinauf zu seinem Gesicht.
    »Es ist Zeit, nach Hause zu kommen.«

9

Uhrmacher
    »Mistletoe!«
    Ma buh!
Sie stahl sich noch tiefer in den schattendunklen Eingang von Jiris Trödelladen. Das war nun wirklich der denkbar schlechteste Augenblick, um von einem ihrer dämlichen Nachbarn erkannt zu werden.
    »Hey, Mistletoe!«
    Der fette kleine Junge hieß überall nur Shampoo, wegen des Geräuschs, das er beim Niesen machte. Er war acht oder neun Jahre alt und schien keine Eltern zu haben. Außerdem war er gegen so ziemlich alles allergisch, und sein Gesicht war ständig von Dreckspritzern übersät und wirkte komisch gesprenkelt wie das eines Dalmatiners. Manchmal überließ Mistletoe ihm ein paar Reste aus Ditas Haus.
    Sie sah zu, wie der Junge sich watschelnd durch das subsphärische Gedränge der Fußgänger schob. Sie durfte ihn nicht zu sich in den Eingang kommen lassen – wer auch immer da drin war, konnte jeden Moment die Tür öffnen –, also schlich sie an der Vorderseite des Ladens entlang bis unter das zugestellte Fenster. Bei einem raschen Blick ins Innere stellte sie fest, dass der Strahl der Taschenlampe immer noch hin und her zuckte. Sie fragte sich, ob der Einbrecher Shampoo wohl ihren Namen hatte rufen hören.
    Neben ihr kam der kleine Junge schnaufend zum Stehen. Er roch wie überreifes Obst. Ein zäher Rotzfaden baumelte von seiner Nase.
    »Hey, Mistletoe, wo biste gewesen?«
    »Komm mit«, sagte sie und packte seinen fleischigen Oberarm.
    »Au! Was machst ’n da – das tut
weh

    Sie bugsierte ihn um die Ecke und blieb hinter einer erstaunlich grünen und gesunden Hecke stehen. Dann steckte sie den Taser in ihre Tasche und drückte Shampoo gegen die Wand.
    »W-was –«
    »Hör mir gut zu, Shampoo. Du hast mich hier nie gesehen. Du hast keinen Schimmer, was mit mir passiert ist, ich bin einfach futsch. Hab Little Saigon für immer verlassen. Keiner weiß, wo ich hin bin. Gecheckt? Nick einmal, wenn du glaubst, dass du’s gecheckt hast.«
    Tränen schossen ihm in die Augen. Mistletoe dachte an den kleinen Vogel, der ihr vor den Scooter gefallen war. So winzig und zart.
    »Verbloggt noch mal,
nick
einfach, Shampoo.«
    Er nickte ungestüm. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, zogen blasse, saubere Schlangenlinien durch den Schmutz. Sie ließ ihn los. Mit dem Handrücken wischte er sich übers Gesicht und verrieb alles zu einem schmierigen Film.
    »Warte«, sagte sie. »Lass mich mal.« Sie näherte sich ihm mit dem Zipfel ihres Ärmels, doch er duckte sich unter ihrer Hand hindurch, rannte los und tauchte ins Gewühl der Straße. Mühsam widerstand sie dem Drang, ihn einzuholen und ihm zu erklären, dass gerade ein gefährlicher Zeitpunkt war, um ihr Freund zu sein. Es war besser für sie beide, wenn er einfach Angst vor ihr hatte, ohne zu wissen,

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