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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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dem Zubringer ein, der wie ein Ring um Rio II lief, und fuhr neben allerlei langen, sperrigen Handelsfahrzeugen in Richtung Oberstadt-Dock. Ambrose sah zu, wie behelmte Sphärenschild-Cops auf schwarzen Scootern die Transporter in der Schlange vor ihnen enterten und durchsuchten. Als einer von ihnen neben dem Tarnfahrzeug längsseits ging, senkte der Fahrer mit der Handfläche das Fenster und sagte ein paar Worte zu dem Cop, der kurz salutierte und sie in Ruhe ließ.
    »Ha«, machte Ambrose. »Rothörnchen-Tee.«
    Len reckte lebhaft zwei Daumen hoch. »Die Leute sind verrückt danach.«
    Kaum dass sie die Oberfläche erreicht hatten, leuchtete der Innenraum des Transporters auf, als Len und die Sicherheits-Leute sich unverzüglich ihre privaten Posteingänge anzeigen ließen. Ambrose wickelte seine Bandagen ab und zuckte zusammen. Ein kleines, sauberes Loch markierte die Mitte jeder Handfläche, dort wo Ivor seine hartkodierte ID rebootet hatte. Die Wunden waren noch frisch, bluteten aber nicht mehr. Ambroses Körper war immer schon schnell geheilt: Kratzer und blaue Flecke waren oft bereits nach weniger als einem Tag verschwunden. Vitaminreiche Synthetik-Nahrung sorgte dafür. Oder hatten Martin und die Labormitarbeiter ihn womöglich schlicht so
gemacht
? Er fragte sich, ob er vielleicht über gewaltige Reserven unangetasteter Energie verfügte. Wenn normale Menschen nur einen Bruchteil ihres Gehirns nutzten, wie viel von seinem eigenen blieb ihm da noch zu erforschen?
    Er drehte seine Handfläche nach oben und ließ sich die Standard-Willkommensseite anzeigen, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sein Mut sank, als er begriff, dass alle seine Einstellungen gelöscht waren. Na und, was machte das für einen Unterschied? Ambrose Truax war schließlich auch eine Art Fake- ID gewesen.
Mistletoe hatte die richtige Idee,
dachte er.
Sie hat sich wenigstens ihren Namen ausgesucht.
Er dachte darüber nach, wo sie wohl war, und für ein paar Sekunden schwebte sein Geist hinaus über den oberen Teil von Eastern Seaboard City. Er stellte sie sich vor, wie sie zwischen den Atmoscrapern hindurchjagte, sich von einem Synthetikobst-Stand einen BetterApple schnappte, vollkommen überwältigt in eine der riesigen Flimmerhallen spazierte, wo die Leute ihr Unison-Erlebnis auf komfortablen Liegestühlen und Betten genossen, während ihre regungslosen leibhaftigen Körper von Aufsehern bewacht wurden, die in den kilometerlangen Gängen auf und ab patrouillierten.
    Doch das waren alles bloß Hirngespinste; sie würde es ja gar nicht erst bis in die Oberstadt schaffen. Wo auch immer sie war, er hoffte, dass sie in Sicherheit war. Und sosehr er sich auch wünschte, sie zu finden – ein Teil von ihm wusste, dass sie besser dran wäre, wenn sie möglichst weit weg bliebe.
    »Wir sind da«, sagte Len. Er wirkte ernst und angespannt.
    Ambrose vaporisierte die angenehm grüne Willkommensseite. Einer der Sicherheits-Mitarbeiter warf ihm ein frisches Stück Verbandsmull herüber, das er in Hälften riss und zweimal um jede Handfläche wickelte.
    »Oben im Labor besorg ich dir einen neuen Anzug«, sagte Len.
    Ambrose bemerkte erst jetzt, dass sein Skinsuit an mehreren Stellen eingerissen war, sodass die Projektion des scharf geschnittenen blauen Holoanzugs, den er, ein ganzes Menschenleben schien das inzwischen her, zur Prozedur getragen hatte, blass und pixelig wirkte.
    »Ich will keine Anzüge mehr tragen«, entschied er plötzlich.
    Len seufzte. »In Ordnung, Ambrose, zieh einfach an, was du willst.«
    Ambrose fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Lens Gesicht wuchs aus seinem Kopf heraus, wurde um einen Punkt auf seiner Nase spitz in die Länge gezogen. Seine Haut dehnte und spannte sich über die unmenschliche Schädelform. Lange rote Striemen erschienen, wie Peitschenwunden von einer mittelalterlichen Züchtigung. Die Striemen nässten, dann brachen sie auf und entblößten eine neue Haut aus grünlichen Schuppen. Seine Augen verengten sich zu gelben Schlitzen.
    Ambrose schrie.
    Len grinste, bleckte Martins unmöglich weiße Zähne. Sein Grinsen wurde breiter. Alles, was Ambrose sehen konnte, waren unzählige Reihen von Zähnen, die sich bis ins Unendliche ausdehnten. Das weit aufgerissene Maul verdrängte das Innere des Transporters. Ein heftiger Wind heulte in seinen Ohren, als stünde er mutterseelenallein mitten auf einem brachliegenden Feld. Er spürte – konnte es jedoch nicht sehen –, dass eine schleimige Zunge sich um

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