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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
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Sie taxierte Mistletoe von Kopf bis Fuß. »Ich hab was zu essen, falls du Hunger hast.«
    Mistletoe wollte
JA
schreien. Stattdessen nickte sie behutsam. Das Mädchen öffnete die Tasche und zog hastig einen folienumwickelten Riegel hervor.
    »Kein BetterFood«, sagte sie entschuldigend. »Ist aus echter Milch, könnte also etwas komisch schmecken.«
    Mistletoes Magen verwandelte sich augenblicklich in ein schwarzes Loch. Schokolade aus echter Milch war eine teure Schwarzmarktware in Little Saigon, eine Einmal-im-Jahr-Leckerei. Gierig schnappte sie nach dem Riegel und riss die Verpackung ab, achtete kaum auf den winzigen Partikelstrahl, der unter einem nahe gelegenen Busch hervorzischte und die glänzende Folie verdampfte, noch ehe sie auf den Boden fiel.
    Die Schokolade schmeckte süß und kräftig und köstlich. Nur einen Hauch bitter. Sie schloss die Augen, während sie aß. Perfekt.
    »Ich hab auch ’n bisschen Tee, falls du Durst hast.« Das Mädchen hielt ihr eine kleine rote Pille hin.
    Mistletoe wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Der Echtzuckerschock stieg ihr sofort in den Kopf. Sie musterte die Pille. »Nein, danke. Ich suche Professor Deirdre O’Hanlon.«
    »Oh! Ich wusste nicht, dass du ’ne Studentin bist. Hast du im Verzeichnis nachgesehen?«
    Mistletoe zuckte die Schultern.
    Das Mädchen sah sie verwirrt an. »Tja, schon okay.« Es drehte die Handfläche nach oben. Eine mattblaue Kugel erschien zwischen ihnen in der Luft, umkreist von einem dünnen Planetenring mit der Aufschrift
ESCU-Verzeichnis
. Mistletoe blinzelte und bemühte sich, unbeeindruckt zu bleiben, obwohl sie noch nie zuvor eine solche Projektion von Informationen gesehen hatte. Sie erinnerte sich, wie Ambrose vergeblich versucht hatte, unterhalb des Sphärenschilds ein Signal zu bekommen. Hier oben machte man diese Handflächennummer vermutlich hundertmal am Tag.
    »Professor Deirdre O’Hanlon«, sagte das Mädchen. Es stieß seinen Finger mitten in die Kugel, worauf sich sofort deren Form veränderte und sich in das dreidimensionale Abbild einer Frau verwandelte, die ungefähr in Tante Ditas Alter war. »Angewandte Unison-Freiberuflichkeit und App-Marktanalytik. Ist sie das?«
    »Hm«, machte Mistletoe.
    »Sie hat noch ein leibhaftiges Büro hier auf dem Campus. Wenn du Glück hast, hat sie heute Sprechstunde.« Das Mädchen vaporisierte das Verzeichnis und streckte die Hand aus. »Wenn du’s autorisierst, kann ich sie dir rüberschicken.«
    Mistletoe verschränkte die Arme. »Was rüberschicken?«
    »Die Wegbeschreibung? Zu ihrem Büro?«
    »Du kannst mir auch einfach sagen, wie man da hinkommt.«
    Eine Viertelstunde später stand Mistletoe neben einem Gebilde aus grauem Stein. Es war ein schlichter, schmuckloser Würfel, etwas höher als die Bäume und so breit wie ihre subsphärische Hütte. Es gab keine Türen oder Fenster.
    »Hallo?«, rief sie. Direkt vor sich auf Türgriffhöhe bemerkte sie eine Vertiefung in Form einer Hand, die in den Stein gedrückt war. Sie legte ihre Hand hinein. Nichts geschah; offenbar brauchte sie eine hartkodierte ID , um hineinzukommen. Sie dachte einen Augenblick nach, dann machte sie kehrt und mischte sich unter die Menge auf dem Weg, der längsseits des Würfels verlief, wo sie auf und ab schlenderte, ohne die neugierigen Blicke der holobekleideten Studenten zu erwidern. Sie fragte sich, ob die wohl alle so reich waren wie Ambrose.
    Als ein Junge mit einem dicken Zopf aus langen Dreadlocks zu dem Würfel trat und ihn mit der Handfläche öffnete, beeilte sie sich, um hinter ihm hineinzuschlüpfen.
    Nach zwei Schritten durch einen schmalen Bogengang fand sie sich zu ihrer Verblüffung in der Lobby eines gigantischen Gebäudes mit Unterrichtsräumen wieder. Der Wald und die Atmoscraper rings umher waren verschwunden. Über ihr sah sie schimmernde Verbindungsstege sich überschneiden. Ein riesiger Glaskasten stand im Zentrum des Raums, gedrängt voll mit Liegesesseln und Betten, in denen regungslose Studenten lagen, die Hände gefaltet. Andere schlenderten durch die Lobby und versammelten sich um zahllose silberne Kästen ähnlich denen, die sie am Abend zuvor gesehen hatte.
    Mistletoe durchquerte die Lobby hinüber zu einer langen Reihe blauer Türen: Professorenbüros, laut dem Mädchen im Wald. Sie ging die Reihe entlang und ließ den Blick über die fein säuberlichen, rechteckigen Namensschilder wandern, bis sie zu
Deirdre O’Hanlon
kam.
    Sie klopfte. Eine gedämpfte Stimme

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