Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Marino
Vom Netzwerk:
funkelnde blaugrüne Wasser stakst.
    »Hilf mir, die Zukunft dieser Firma aufzubauen«, sagte Martin. »Komm wieder nach Hause.«
    »Sieh mir zuerst in die Augen«, entgegnete Ambrose, »und sag mir, dass du mich nicht nach den Anweisungen aus irgendeinem Handbuch zusammengebaut hast.«
    Martin erwiderte Ambroses festen Blick. Das Weiß seiner Augen glänzte heller als seine Zähne, blendend und furchterregend. Ambrose hielt sich die Hand vor die Augen, zum Schutz gegen das grelle Funkeln. Die Büropflanze raschelte. Aus den Wänden stob wie die gewaltige Bö eines Orkans ein aufgesogener Gedanken-Stream hervor, zwang ihn auf die Knie. Ein vereinzeltes Update zuckte durch seinen Geist.
    Kelly Peterson freut sich megawahnsinnig, heute einen Welpen zu bekommen!
    Ambrose schüttelte es ab und rappelte sich auf. Martins obere Kopfhälfte bestand jetzt aus einem welligen Streifen Mahagonitäfelung und war durch eine dünne Faser mit der Wand hinter ihm verbunden. Anstelle seiner Augen gähnten abgründig schwarze Höhlen. Nase und Mund verschmolzen zu einer schuppigen, länglichen Schnauze.
    Die Schnauze grinste. Reihen weißer Zähne blitzten.
    Hinter sich hörte Ambrose die Tür schlagen und wirbelte herum. Mistletoe betrat das Büro.
    Sie war zurückgekommen, seinetwegen.
    »Ambrose«, sagte sie, kam zu ihm an den Schreibtisch und blickte ihm forschend ins Gesicht. »Bist du
du

    »Ich bin ich.«
    »Und ich bin sein Vater«, sagte Martin. Ambrose drehte sich zu ihm um, sah, wie er sich, nun wieder mit vollkommen menschlichen Zügen, in seinem Sessel lümmelte, die Beine über dem Knie gekreuzt. »Nett, dich kennenzulernen, Anna. Ich hoffe, du hast bis hierher eine angenehme Reise gehabt. Jedenfalls habe ich alles in meiner Macht Stehende getan, damit dieser Ort hier leicht zu finden ist.«
    Mistletoe schaute sich um, registrierte die Regale, die Pflanze, die Bilderrahmen. Dann musterte sie prüfend Martins Gesicht, während er mit dem Fingernagel auf den Schreibtisch klopfte. Ambrose zählte sechs Schläge, ehe Mistletoe sprach.
    »Wir kennen uns«, sagte sie. Dann wandte sie sich an Ambrose. »Ich hatte einen Traum, in dem wir kleine Babys waren. Es gab noch andre wie uns, aber die funktionierten nicht richtig oder so, deswegen haben sie sie in einen großen Bottich geworfen. Sie waren alle tot und trieben … einfach an der Oberfläche. Wir waren die Einzigen, die’s geschafft haben.«
    Sie fuhr wieder herum zu Martin, und ihr blauer Zopf streifte Ambroses Gesicht. Ihm wurde klar, dass er ihretwegen auch zurückgekommen wäre.
    »Innovationen erfordern Opfer«, sagte Martin. Er griff hinter seinen Sessel und zog eine Tür auf, die in der Täfelung nicht zu sehen gewesen war.
    Ein dichtes Geflecht aus flirrenden Status-Updates – Spinnfäden von Krass! BetterTacos zum Abendessen! und Kennt irgendwer ’ne gute Adresse für ’ne Zungen-Modifikation??  –, verwoben mit rohen Profildaten. Urlaubsbilder irgendeines Users flatterten wild aus dem Netz und schwirrten in der Türöffnung umher. Ehe sie wieder zurück ins Innere gesaugt wurden, konnte Ambrose einen großen schwarzen Hund mit einer flauschigen Weihnachtsmann-Mütze und einem turmhohen Haufen roter und grüner Geschenke erkennen. Dann erschien die Liste der Freunde eines anderen Users, Tausende winziger Gesichter, die sich begierig dehnten und streckten in dem Versuch, umherflitzende, wendige Rohdaten in sich hineinzuschlürfen.
    Von der Schönheit des Chaos wie hypnotisiert schaute Ambrose all dem weiter zu, bis allmählich ein Muster entstand. Gedanken-Streams flochten sich umeinander, verdichteten sich wie DNS -Stränge, pulsierten im Takt mit anderen Strängen und erzeugten eine kolbenartige Bewegung im Innern des Netzes. Das Ganze glich der Funktionsweise eines uralten Verbrennungsmotors, genährt und angetrieben von Profildaten.
    Ambrose zitterte. Dieses Ding – diese
Maschine
– strahlte eine frösteln machende, unmenschliche Kälte aus, die nun auch die Bitmap des Büros in Mitleidenschaft zog. Fleischige Stückchen von Martins Gesicht erschienen zwischen den Blättern der Pflanze. Eines der Blätter bestand jetzt gänzlich aus Nasenlöchern. Ambrose riss sich vom Anblick der Türöffnung los, um Mistletoe anzuschauen. Durch ihren Hals hindurch konnte er die Wand auf der anderen Seite sehen. In der Lücke wiegte sich ihr Zopf.
    Er blinzelte und sie war wieder unversehrt.
    »’ne Tür voller Twitterhirne«, sagte sie.
    »Das ist irgend ’ne

Weitere Kostenlose Bücher