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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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schon schoß Jim das Blut ins Gesicht, und er ereiferte sich
gute drei Minuten lang über das Privileg, als Engländer geboren zu sein. Er
wußte, daß sie ihn hochnahmen, aber er konnte sich einfach nicht zurückhalten.
Oft beendete er seine Erbauungspredigt mit einem reuigen Grinsen und murmelte
etwas von Ablenkungsmanövern und Betragensnoten und langen Gesichtern, wenn
gewisse Herrschaften nachsitzen müßten und das Fußballspiel versäumten. Aber
England war seine große Liebe; im Ernstfall würde er niemanden ihretwegen
leiden lassen.
    »Bestes
Land in der ganzen verdammten Welt!« hatte er einmal gebellt. »Weißt du, warum?
Weißt du warum, Knallfrosch?« Spikely wußte es nicht, also nahm Jim ein Stück
Kreide und zeichnete einen Globus. »Im Westen ist Amerika«, sagte er, »voll
gieriger Narren, die ihr Erbteil versauten. Im Osten China-Rußland«, er zog
keine Grenze: »Arbeitskluft, Gefangenenlager und ein verdammt langer Marsch
nirgendwohin. In der Mitte ...« Schließlich verfielen sie auf Rhino.
    Es war zum
Teil eine Art Reim auf Prideaux, zum Teil eine Anspielung auf seine
Geschicklichkeit als Selbstversorger und auf den Bewegungshunger, den sie
ständig an ihm beobachteten. Wenn sie morgens vor Kälte zitternd an der Dusche
Schlange standen, sahen sie schon Rhino die Coombe Lane heranstiefeln, wie er
mit einem Rucksack auf dem Buckel von seinem Morgenmarsch zurückkam. Beim
Zubettgehen konnten sie seinen einsamen Schatten durch das Kunstglasdach der
Ballspielhalle erspähen, wo Rhino unermüdlich die Betonmauer attackierte. Und
an warmen Abenden beobachteten sie ihn manchmal durch die Fenster des Schlafsaals
beim Golf spielen, wobei er den Ball mit einem gräßlichen alten Schläger im
Zickzack über den Platz trieb, oft, nachdem er ihnen aus einem besonders
englischen Abenteuerbuch vorgelesen hatte: Biggles, Percy Westerman oder
Jeffrey Farnol, die er auf gut Glück aus der schäbigen Bibliothek geholt hatte.
Sooft ein neuer Schlag fällig war, warteten sie auf das anfeuernde Grunzen
beim Ausholen, und sie wurden selten enttäuscht. Sie führten genau Buch über
seinen Leistungsstand. Beim Kricket-Match hatte er fünfundzwanzig geschafft,
ehe er einen Ball absichtlich zu Spikely ins Aus schlug. »Fang ihn, du Knallfrosch,
fang ihn, hüpf! Gut gemacht, Spikely, braver Junge, dafür bist du schließlich
da.«
    Außerdem
wurde ihm, trotz seines Hanges zur Toleranz, eine gesunde Witterung für
kriminelle Veranlagungen bescheinigt. Er hatte sie bereits mehrmals bewiesen,
am überzeugendsten aber ein paar Tage vor Ferienbeginn, als Spikely in Jims
Papierkorb den Entwurf für die morgige Klassenarbeit fand und reihum an Anwärter
für jeweils fünf neue Pennies auslieh. Mehrere Jungen zahlten ihren Obolus und
lernten die Antworten eine qualvolle Nacht hindurch beim Schein der
Taschenlampen unter der Bettdecke auswendig. Als jedoch die Klassenarbeit
geschrieben wurde, legte Jim ein völlig anderes Aufgabenblatt vor. »Das da
könnt ihr gratis haben«, bellte er und setzte sich hinters Pult. Und nachdem er
seine Daily Telegraph entfaltet hatte, widmete er sich
in aller Ruhe den jüngsten Weisheiten der Juju-Männer, wie er, soviel die Jungens
begriffen hatten, so ziemlich alle Leute mit intellektuellen Ansprüchen
benannte. Dann war die Sache mit der Eule passiert, die in ihrer Meinung über
ihn einen besonderen Platz einnahm, denn dabei hatte der Tod eine Rolle
gespielt, etwas, worauf Kinder verschieden reagieren. Da das Wetter
unverändert kalt war, brachte Jim einen Eimer Kohlen mit ins Klassenzimmer, und
an einem Mittwoch zündete er ein Feuer an, setzte sich mit dem Rücken davor und
las ein dictee. Zuerst fiel ein bißchen Ruß durch
den Kamin, was Jim nicht beachtete, dann kam die Eule herunter, eine ausgewachsene
Schleiereule, die zu Dovers Zeiten gewiß manchen ungestörten Winter und Sommer
hindurch dort oben genistet hatte und nun ausgeräuchert war, benommen und
schwarz und erschöpft vom verzweifelten Herumschlagen im Rauchfang. Sie
purzelte über die Kohlen und dann als zusammengesunkenes Häuflein auf den
hölzernen Fußboden, flatterte und prustete noch ein bißchen und hockte dann da
wie ein Teufelsbote, verkrümmt, aber atmend und glotzte aus starren,
rußverklebten Augen auf die Jungens. Es war keiner unter ihnen, der sich nicht
gefürchtet hätte; sogar Spikely, der Held, fürchtete sich. Nur nicht Jim, der
den Vogel ohne viel Federlesens zusammenfaltete und wortlos mit ihm

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