Carre, John le
Mittagsruhe in ihre Schlafsäle geschickt,
die Lehrer sitzen beim Kaffee im Lehrerzimmer und lesen Zeitung oder
korrigieren Hefte. Thursgood liest seiner Mutter einen Roman vor. So kam es,
daß Bill Roach als einziger von der ganzen Schule Jim ankommen sah, sah, wie
der Dampf aus dem Kühler des Alvis brodelte, wie der Wagen den bröckeligen
Fahrweg entlangkeuchte, die Scheibenwischer auf Hochtouren liefen und der
Wohnanhänger durch die Pfützen hinterherrumpelte.
Roach war
neu an der Schule und als lernschwach eingestuft, wenn nicht gar als
geistesschwach. Thursgood war seine zweite Privatschule in zwei Halbjahren. Er
war ein fettes, kurzbeiniges Kind mit Asthma und einem romantischen Herzen, und
er verbrachte stets einen großen Teil der Ruhezeit damit, keuchend am Fußende
seines Bettes zu knien und durchs Fenster zu schauen. Seine Mutter lebte in
Bath auf großem Fuß, sein Vater galt allgemein für vermögender als die übrigen
Väter, eine Auszeichnung, die den Sohn teuer zu stehen kam. Als Kind einer
gescheiterten Ehe war Roach von Natur aus ein guter Beobachter. Wie Roach
beobachtete, hielt Jim nicht vor den Schulgebäuden an, sondern nahm die Kehre
zum Wirtschaftshof. Er kannte also die Anlage. Roach kam später zu dem Schluß,
daß Jim sich eingehend erkundigt oder Pläne studiert haben mußte. Auch im Hof
machte er noch nicht halt, sondern fuhr weiter ins nasse Gras, schnell genug,
um nicht steckenzubleiben. Dann über die Koppel in die Senke, Kopf voran und
weg war er. Roach erwartete fast, daß der Wohnanhänger am Grabenrand abknicken
werde, so schnell riß Jim ihn hinter sich her, aber er lüpfte nur das
Hinterteil und verschwand wie ein riesiges Karnickel in seinem Loch.
Die Senke
gehört zur Folklore des Thursgoodschen Internats. Sie liegt in einem Stück
Ödland zwischen dem Obstgarten, dem Vorratshaus und den Stallungen. Der
Betrachter sieht weiter nichts als eine grasbewachsene Bodenmulde mit Erdhügeln
an der Nordseite, etwa von Bubenhöhe und mit Gestrüpp überwuchert, das im
Sommer morastig wird. Diese Erdhocken verliehen der Senke ihre besondere
Eignung als Spielplatz, und ihre Legende, die je nach der Phantasie jeder neuen
Jungengeneration wechselt. Sie sind die Reste einer aufgelassenen Silbermine,
sagt der eine Jahrgang und buddelt begeistert nach Reichtümern. Sie waren eine
römisch-britannische Befestigung, sagt ein anderer und inszeniert Schlachten
mit Stöcken und Lehmgeschossen. Für wieder andere ist die Senke ein
Bombenkrater aus dem Krieg, und die Erdhocken sind sitzende Menschen, die durch
die Explosion ums Leben kamen. Die Wahrheit ist viel prosaischer. Vor sechs
Jahren, kurz ehe er mit der Empfangsdame des Schloßhotels durchbrannte, hatte
Thursgoods Vater den Bau eines Schwimmbeckens angeregt und die Jungens dazu
gebracht, daß sie eine große Grube aushoben, mit einem tiefen und einem flachen
Ende. Aber die eingehenden Gelder reichten nie ganz aus, um das ehrgeizige
Vorhaben zu finanzieren, und so wurden sie an andere Pläne verzettelt, zum Beispiel
einen neuen Projektionsapparat für den Kunstunterricht und die Vorarbeiten zur
Einrichtung einer Champignonzucht in den Schulkellern. Und sogar, sagten die
Zyniker, als Nestpolster für ein gewisses, sündiges Liebespaar, das inzwischen
nach Deutschland, die Heimat der Dame, entfleucht war. Jim ahnte nichts von
diesen Zusammenhängen. Aus schierem Glück hatte er die einzige Stelle des
Thursgood-Anwesens gewählt, die, jedenfalls für Roach, mit übernatürlichen
Eigenschaften ausgestattet war. Roach blieb am Fenster, sah aber nichts mehr.
Der Alvis samt Anhänger waren im toten Winkel verschwunden, und wären nicht
die nassen roten Fahrspuren auf dem Gras gewesen, so hätte er sich fragen
können, ob er das Ganze nicht bloß geträumt habe. Aber die Spuren waren da, und
als die Glocke das Ende der Mittagsruhe anzeigte, zog er seine Gummistiefel an
und stapfte durch den Regen zum Rand der Senke. Als er hinunterlinste, sah er
Jim, der einen Militär-Regenmantel trug und einen höchst absonderlichen Hut,
breitrandig, wie ein Safarihut, aber aus Haarfilz und an einer Seite mit
verwegenem Piratenschwung hochgeschlagen, und das Wasser rann herab wie aus
einer Regenrinne. Der Alvis stand im Wirtschaftshof. Roach erfuhr nie, wie Jim
ihn aus der Senke herausgezaubert hatte, aber der Anhänger war noch drunten, er
stand am tieferen Ende auf verwitterten Ziegelsteinen aufgebockt und Jim saß
auf der Treppe, trank aus einem grünen
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