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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Schicksal gestalteten, zu überwinden
hätten, wenn ihr Wille dazu stark genug war. Sie ging zufrieden zur Arbeit, und
ihr Rücken hörte auf, ihr Beschwerden zu machen, was sie als Omen ansah. Sie
nahm die Dinge sogar wieder philosophisch. Es ist so oder so, sagte sie sich;
entweder Alexandra war im Westen und besser daran - wenn es sich tatsächlich
um Alexandra handelte -, oder Alexandra war, wo sie immer gewesen war, und
nicht schlechter daran. Doch allmählich meldete sich ein anderer Teil ihrer
selbst, der den falschen Optimismus durchschaute. Es gab eine dritte
Möglichkeit, und das war die schlimmste und ihrer Ansicht nach die bei weitem
wahrscheinlichste: nämlich, daß Alexandra zu einem dunklen und vielleicht üblen
Zweck eingespannt wurde; daß »sie« ihr Zwang antaten, wie »sie« ihr selber
Zwang angetan hatten, die Menschlichkeit und den guten Willen mißbrauchten, die
Glikman seiner Tochter mitgegeben hatte. In der vierzehnten Nacht erlitt die
Ostrakowa einen heftigen Weinkrampf, mit tränenüberströmtem Gesicht wanderte
sie quer durch Paris auf der Suche nach einer Kirche, irgendeiner, sofern sie
nur offen war, bis sie zur Alexander Newsky Kathedrale kam. Sie war offen.
Kniend betete sie lange Stunden zum heiligen Josef, der ja schließlich auch ein
Vater und Beschützer war und zudem Glikmans Namenspatron, wenn Glikman sich auch
über diese Verbindung mokiert hätte. Und am Tag nach dieser erschöpfenden
Andachtsübung ward ihr Gebet erhört. Ein Brief kam. Er trug weder Marke noch
Stempel. Sie hatte vorsichtshalber auch die Anschrift ihrer Arbeitsstätte
angegeben, und der Brief erwartete sie dort, wahrscheinlich irgendwann in der
Nacht durch Boten überbracht. Es war ein sehr kurzer Brief, der weder Namen
noch Adresse des Absenders aufwies. Die Unterschrift fehlte. Wie ihr eigener
war er in gestelztem Französisch abgefaßt, in dem kühnen, fast napoleonischen
Gekleckse einer alten und diktatorischen Hand, in der sie sofort die des
Generals erkannte.
    Madame!
- fing er an, und es klang ihr wie ein Tagesbefehl -Ihr Brief hat den
Schreiber sicher erreicht. Ein Freund unserer gemeinsamen Sache wird Sie
demnächst aufsuchen. Er ist ein Ehrenmann und wird sich durch Übergabe der
anderen Hälfte beiliegender Ansichtskarte ausweisen. Ich ersuche Sie dringend,
bis dahin mit niemandem über diese Angelegenheit zu sprechen. Der Betreffende
wird zwischen acht und zehn Uhr abends zu Ihrer Wohnung kommen und dreimal
klingeln. Er besitzt mein absolutes Vertrauen. Vertrauen auch Sie ihm völlig,
Madame, und wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen.
    Selbst
in ihrer Erleichterung amüsierte sie sich insgeheim über den melodramatischen
Ton des Schreibers. Warum hatte man den Brief nicht direkt in ihre Wohnung
gebracht, fragte sie sich; und warum sollte ich mich sicherer fühlen, weil er
mir die Hälfte einer Londoner Ansicht gibt? Das Stück Postkarte stellte nämlich
einen Teil von Picadilly Circus dar und war absichtlich brutal schräg
abgerissen, nicht abgeschnitten worden. Der Raum für schriftliche Mitteilungen
war leer.
    Zu
ihrem Erstaunen kam der Abgesandte des Generals noch am gleichen Abend.
    Er
klingelte dreimal, wie brieflich angekündigt, mußte aber gewußt haben, daß sie
zuhause war - mußte gesehen haben, wie sie heimkam und Licht machte -, denn sie
hörte nur den Deckel am Briefschlitz klappern, lauter als sonst, und als sie
zur Tür ging, sah sie das abgerissene Stück Ansichtskarte am Boden liegen, an
derselben Stelle, die sie so oft mit den Augen abgesucht hatte, während sie
sich nach einer Botschaft von ihrer Tochter Alexandra sehnte. Sie hob es auf
und lief ins Schlafzimmer zu ihrer Bibel, wo ihre eigene Hälfte bereitlag, und
tatsächlich, die Teile paßten zusammen, Gott war auf ihrer Seite, der heilige
Josef hatte sich für sie verwendet. (Aber trotzdem, was für ein nutzloser
Unsinn, das Ganze!) Und als sie ihrem Besucher die Tür öffnete, glitt er an
ihr vorbei wie ein Schatten: ein Wichtelmännchen in einem schwarzen Mantel mit
Samtaufschlägen am Kragen, der ihm das Aussehen eines Operettenverschwörers
verlieh. Sie haben mir einen Zwerg geschickt, um einen Riesen zu fangen, war
ihr erster Gedanke. Er hatte geschwungene Brauen und ein zerfurchtes Gesicht,
und über seinen spitzen Ohren standen hochgekringelte schwarze Haarbüschel,
die er mit seinen kleinen Handflächen vor dem Dielenspiegel glatt strich, als
er den Hut abnahm - so munter und komisch, daß die Ostrakowa bei

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