Carre, John le
hatte, diese Frage nicht direkt zu beantworten. Vielleicht
liegt die Erklärung in seiner eisernen Unzugänglichkeit; oder vielleicht haben
wir es mit der hartnäckigen Weigerung des geborenen Agenten zu tun, seinem
Vorgesetzten irgendetwas zu offenbaren, was für die Zusammenarbeit nicht
unbedingt notwendig ist. Ganz bestimmt hatte sein Entschluß einen
philosophischen Grund. Schon war Smiley überzeugt, niemandem außer sich selber
verantwortlich zu sein: Warum sollte er handeln, als wäre dies nicht der Fall?
»Alle Fäden führen in mein eigenes Leben!« mag er argumentiert haben. »Warum
meinem Gegenspieler die Enden in die Hand geben, nur damit er mich daran
gängeln kann?« Oder aber, er dachte -- und vermutlich zu recht -, daß Enderby
die Wirrungen von Karlas Lebensweg ebenso bekannt waren wie Smiley; und daß er,
falls dem nicht so gewesen sein sollte, seine Rußland-Spezialisten die ganze
Nacht hindurch hatte wühlen lassen, bis sie auf die Antworten gestoßen waren,
die ihm fehlten.
Was immer zutreffen mag, fest
steht, daß Smiley sein Wissen für sich behielt.
»George?« sagte Enderby nach langer
Pause.
Ein Flugzeug donnerte im Tiefflug
über das Haus.
»Die Frage ist ganz einfach, ob Sie
das Produkt haben möchten«, antwortete Smiley schließlich. »Ich sehe sonst
nichts, was letztlich von großer Bedeutung wäre.«
»Ach, Sie sehen sonst nichts!«
sagte Enderby, zog die Hand vom Mund und damit das Streichholz. »Oh doch, ich möchte ihn haben«, fuhr er fort, als sei dies nur ein Teil des Ganzen. »Ich möchte die Mona Lisa haben und den Vorsitzenden der Volksrepublik China und den
Sieger des nächstjährigen Irish Sweep, Ich möchte Karla in Sarratt auf
dem heißen Stuhl haben, wo er vor den Inquisitoren seine Lebensgeschichte
ausspuckt. Ich möchte, daß mir die amerikanischen Vettern noch jahrelang
aus der Hand fressen. Ich möchte alle Trümpfe haben, klar, daß ich das möchte. Aber das hilft mir nicht aus dem Schlamassel.«
Doch Smiley schien an Enderbys
Dilemma seltsam uninteressiert.
»Bruder Lacon dürfte Sie doch
aufgeklärt haben? Über den Stillhalte-Befehl und so?« fragte Enderby. »Ein
junges idealistisches Kabinett, nichts geht über Entspannung, Transparenz der
Regierungsarbeit ist die Parole, diesen ganzen Scheiß? Schluß mit den
bedingten Reflexen des Kalten Krieges? Schnüffeln unter jedem Whitehall-Bett
nach Tory-Verschwörungen, besonders unter dem Unsrigen? Hat er das getan? Hat
er Ihnen gesagt, daß sie eine gewaltige anglo-russische Friedensinitiative
starten wollen, wieder einmal, die prompt spätestens bis nächste Weihnachten
platzen wird?«
»Nein. Nein, davon hat er mir
nichts gesagt.«
»Aber das Vorhaben besteht
wirklich. Und wir dürfen es nicht gefährden, tra-la-la. Typisch, derselbe
Verein, der die Friedens-Trommeln rührt, schreit Zeter und Mordio, wenn wir die
Ware nicht liefern. Das muß jedem einleuchten, wie? Schon jetzt möchten sie
wissen, wie die Reaktion der Sowjets ausfallen wird.
War das schon immer so?«
Smiley zögerte so lange mit der
Antwort, als müsse er das Urteil des Jüngsten Gerichts fällen. »Ja. Ich glaube schon.
Ich glaube, in der einen oder anderen Form war es schon immer so«, sagte er
schließlich, und diese Feststellung schien für ihn selber viel zu bedeuten.
»Hätten Sie mir vorher sagen
können.«
Enderby schlenderte zur Mitte des
Zimmers und goß sich am Büffet ein Glas reines Sodawasser ein; er starrte
Smiley in anscheinend ehrlicher Unschlüssigkeit an. Starrte ihn an, wandte den
Kopf und starrte ihn aufs neue an, zeigte alle Symptome eines Mannes, der mit
einem unlösbaren Problem konfrontiert ist. »Eine harte Nuß, Chef, wahrhaftig«,
sagte Sam Collins, wovon keiner der beiden anderen Männer die geringste Notiz
nahm. »Und es ist nicht einfach ein gemeines Bolschi-Komplott, George, das uns
ins eigene Grab locken soll - sind Sie da ganz sicher?«
»Ich fürchte, diesen Aufwand sind
wir nicht mehr wert, Saul«, sagte Smiley mit abbittendem Lächeln.
Enderby war nicht erpicht darauf,
an die Grenzen von Britanniens Größe erinnert zu werden, und sekundenlang
verzog sich sein Mund zu einer säuerlichen Grimasse.
»All right, Maud«, sagte er nach
einer Weile. »Laß uns in den Garten gehen.«
Sie spazierten Seite an Seite.
Collins war auf ein Nicken Enderbys hin im Haus geblieben. Unter dem sachten
Regen kräuselte sich die Wasserfläche des Teichs, und der Marmorengel glänzte
im Dämmerlicht. Von Zeit zu
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