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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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zwar nur nachts
hingehen, aber jemand könnte Sie erkennen, und ich will mich auch hierbei nicht
erwischen lassen.«
    »Es bestand einmal der Plan, eine
interne Geschichte der Dienststelle in Auftrag zu geben«, sagte Smiley
hilfsbereit. »Natürlich nicht zur Veröffentlichung, aber doch eine Art
fortlaufender Chronik, die Neulingen und gewissen Verbindungsdienststellen zur
Verfügung stehen könnte.«
    »Ich schicke Ihnen ein offizielles
Schreiben«, sagte Enderby. »Und ich werde es wohlweislich zurückdatieren.
Sollten Sie während Ihres Aufenthalts innerhalb des Gebäudes Ihre Befugnisse
übertreten, so ist das nicht meine Schuld. Der Bursche da in Bern, den Kirow
erwähnte, Grigoriew, Handelsattache. Der Bursche, an den die Moneten gehen?«
    Smiley schien tief in Gedanken.
»Ja, ja, natürlich«, sagte er.
    »Grigoriew.«
    »Ich nehme an, er ist Ihre nächste
Station, wie?«
    Eine Sternschnuppe sauste über den
Himmel, und einen Augenblick lang sahen sie ihr beide nach.
    Enderby zog ein einfaches
gefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche. »Hier, das ist Grigoriews
Stammbaum, so weit wir ihn kennen. Er ist sauber durch und durch. Einer der
ganz Wenigen. War früher Dozent für Volkswirtschaft an irgendeiner russischen
Universität. Mit einer Schreckschraube verheiratet.«
    »Vielen Dank«, sagte Smiley
höflich. »Herzlichen Dank.«
    »Inzwischen haben Sie meinen Segen,
was ich im Ernstfall strikt ableugnen werde«, sagte Enderby, während sie sich
auf den Rückweg zum Haus machten.
    »Vielen Dank«, sagte Smiley wieder.
    »Tut mir leid, daß Sie ein Opfer
der imperialistischen Heuchelei werden mußten, aber Sie sind nicht der
einzige.«
    »Keine Ursache«, sagte Smiley.
    Enderby blieb stehen und wartete,
bis Smiley ihn eingeholt hatte.
    »Wie geht's Ann?«
    »Danke, gut.«
    »Wie viel -« Plötzlich geriet er
aus dem Konzept. »Sagen wir mal so, George«, meinte er, nachdem er eine Weile
die köstliche Nachtluft genossen hatte. »Reisen Sie in diesem Fall in Geschäften
oder zum Vergnügen? Worum geht's?«
    Smileys Antwort ließ auf sich
warten und war ebenso indirekt:
    »Mit dem Begriff Vergnügen konnte
ich nie viel anfangen«, sagte er. »Oder vielleicht sollte ich sagen: mit dem
Unterschied.«
    »Hat Karla noch immer das
Feuerzeug, das sie Ihnen schenkte? Das stimmt doch, oder? Es heißt, damals, als
Sie in Delhi mit ihm sprachen - ihn umdrehen wollten -, habe er Ihnen das
Feuerzeug geklaut. Besitzt es heute noch, wie? Benutzt es noch immer? Würde
mich ganz schön wurmen, wenn es mir gehört hätte.« »Es war nur ein gewöhnliches
Ronson-Feuerzeug«, sagte Smiley. »Allerdings sind diese Dinger sehr stabil, so
gut wie unverwüstlich, nicht wahr?«
    Sie trennten sich
grußlos.
     

20
     
     
     
     
    In den Wochen nach seiner
Unterredung mit Enderby war George Smileys Stimmung so komplex und
vielschichtig wie die Skala der Vorbereitungsarbeiten, die er in Angriff
genommen hatte. Er fand keine Ruhe; alles an ihm war in undefinierbarer
Bewegung, die einzige Konstante war seine zielgerichtete Entschlossenheit.
Jäger, weltabgeschiedener Liebhaber, Einsamer auf der Suche nach Ergänzung,
subtiler Teilnehmer am Großen Spiel, Zweifler auf der Suche nach Bestätigung -
Smiley verkörperte abwechselnd jede dieser Rollen und manchmal sogar mehrere
zugleich. Wer immer sich später an ihn erinnerte - Mendel, der Polizist im
Ruhestand, einer seiner wenigen Vertrauten; eine gewisse Mrs. Gray, Besitzerin
einer bescheidenen Frühstückspension für alleinstehende Herren in Pimlico, wo
er aus Sicherheitsgründen vorübergehend sein Hauptquartier aufgeschlagen
hatte; Toby Esterhase, alias Benati, der distinguierte, auf Arabica
spezialisierte Kunsthändler, alle sprachen auf ihre Art von einer ominösen Insichgekehrtheit, einer Ruhe, einer Knappheit an Worten und Blicken, und sie beschrieben es
je nach dem Grad ihrer Vertrautheit mit ihm und ihrer eigenen Lebenslage.
    Mendel, ein springlebendiger,
scharf beobachtender Mann mit einem Hang zur Bienenzucht, sagte rundheraus, daß
George sich für seinen großen Kampf warm trainiere. Als ehemaliger
Amateurboxer, der seinerzeit im Mittelgewicht die Farben seiner Abteilung
vertreten hatte, machte er sich anheischig, die Zeichen eines bevorstehenden
Kampfes zu erkennen: eine Nüchternheit, eine klärende Einsamkeit, die bewiesen,
daß Smiley »an seine Hände dachte«. Mendel scheint ihn gelegentlich eingeladen
und ihm Mahlzeiten gekocht zu haben. Aber Mendel war zu

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