Carre, John le
nächsten abgelöst wurde. >Warten Sie, bis Sie sein Muster haben<,
sagte Smiley, als sie sich trennten. >Wenn Sie sein Verhaltensmuster haben,
komme ich. Vorher nicht.<
Toby sagte, er ließ sich wirklich
verdammt Zeit.
Über Smileys Besuche im Circus
während dieser aufreibenden Zeit gibt es natürlich keine offiziellen
Unterlagen. Er betrat das Gebäude wie sein eigener Geist, schwebte wie
unsichtbar durch die vertrauten Korridore. Auf Enderbys Anraten kam er um ein
Viertel nach sechs Uhr abends, gerade nach Beendigung der Tagschicht und bevor
die Nachtmannschaft ins Geschirr gegangen war. Er hatte Hindernisse erwartet,
war darauf gefaßt gewesen, daß Pförtner, die ihn seit zwanzig Jahre kannten,
sich durch Rückfrage in der fünften Etage absichern würden. Doch Enderby hatte
die Dinge anders arrangiert, und als Smiley sich ohne Durchlaßschein an der
hölzernen Sperre einfand, dirigierte ihn ein Junge, den er nie zuvor gesehen
hatte, mit einem sorglosen Kopfnicken zum offenen Lift. Er fuhr unangefochten
in das Untergeschoß. Beim Aussteigen sah er als erstes das schwarze Brett des
Freizeitklubs, und die Anschläge, die daran hingen, hatten sich seit seiner
Zeit um kein Wort geändert: Kätzchen unentgeltlich abzugeben an Tierliebhaber;
die Nachwuchs-Theatergruppe würde am Freitag The Admirable Crichton, falsch
geschrieben, in der Kantine in einer Lesung zum besten geben. Das gleiche
Squash-Turnier, mit Spielern, die aus Sicherheitsgründen unter ihrem
Arbeitsnamen aufgeführt waren. Dieselben Ventilatoren gaben ihr stotterndes
Summen von sich. So daß er, als er schließlich die Drahtglastür des Archivs
öffnete und den Geruch von Druckerschwärze und verstaubten Büchern einatmete,
halb und halb erwartete, seinen eigenen rundlichen Schatten zu sehen, im Licht
der grünbeschirmten Leselampe über den Eckschreibtisch geneigt, wie damals in
den vielen Nächten, in denen er Bill Haydons hektischen Zickzackkurs eines
Verräters nachvollzog, versuchte, durch die Umkehrung eines logischen
Prozesses die Fehlstellen in der Rüstung der Moskauer Zentrale aufzuspüren.
»Ah, wie ich höre, schreiben Sie
jetzt an der Geschichte unserer glorreichen Vergangenheit«, bemerkte die
Nachtarchivarin nachsichtig. Sie war ein großes Mädchen vom Lande und hatte
einen Gang wie Hilary: Selbst im Sitzen schien sie dauernd vornüber zu kippen.
Sie knallte einen alten, blechernen Aktenbehälter auf den Tisch. »Mit vielen
Grüßen von der fünften Etage«, sagte sie. »Geben Sie Laut, wenn Sie was
brauchen, ja?« Die Aufschrift auf dem Griff lautete >Memorabilien<.
Smiley hob den Deckel in die Höhe und sah einen Haufen gebundener Akten, die
mit einer grünen Kordel umwickelt waren. Er löste sacht die Umschnürung und
schlug den ersten Band auf, und sofort starrte Karlas verschwommenes Foto zu ihm
auf, wie eine Leiche aus der Dunkelheit ihres Sarges. Er las die ganze Nacht,
rührte sich kaum von seinem Platz. Er las sich ebenso weit in seine eigene
Vergangenheit hinein wie in die Karlas, und manchmal schien es ihm, als sei das
eine Leben ganz einfach die Ergänzung des anderen; als seien sie die Ursachen
derselben unheilbaren Krankheit. Und wie schon so oft zuvor fragte er sich
wieder, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn er Karlas Kindheit gehabt hätte,
durch die gleichen Feueröfen revolutionärer Erschütterungen gegangen wäre. Und
wie schon so oft zuvor, erlag er der Faszination, die das schiere Ausmaß des
Leidens, die bedenkenlose Barbarei und der Heldenmut des russischen Volkes auf
ihn ausübten. Im Vergleich dazu fühlte er sich klein und zahm, wenn er auch der
Ansicht war, daß es seinem eigenen Leben nicht an Leid gebrach. Als die
Nachtschicht endete, saß er immer noch da und starrte auf die vergilbten
Seiten, >wie ein Pferd, das im Stehen schläft<, wie es die
Nachtarchivarin formulierte, die an Reitturnieren teilnahm. Selbst als sie die
Akten wegnahm, um sie wieder zur fünften Etage hinaufzubringen, starrte er noch
weiter vor sich hin, bis sie ihn sanft am Ellbogen berührte.
Er kam die nächste Nacht und die
übernächste, verschwand dann und tauchte eine Woche später wortlos wieder auf.
Als er mit Karla fertig war, ließ er sich die Akten über Kirow, über Mikhel,
über Willem und über die Gruppe im allgemeine kommen, und sei es auch nur, um
rückblickend die Leipzig-Kirow-Affäre - alles, was er gehört hatte und woran
er sich erinnerte - dokumentarisch zu belegen. Denn da lebte noch etwas
anderes in
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