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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Urlaub verbracht hatten, lag jenseits des
Bergrückens, doch wenn sie allein war, wohnte sie im Haus, in ihrem ehemaligen
Jungmädchenzimmer. Er sagte zum Fahrer, daß er nicht zu warten brauche und ging
auf den Vordereingang zu, wobei er vorsichtig einen Weg zwischen den Pfützen
suchte, um seine Londoner Schuhe nicht in Gefahr zu bringen. Es ist nicht mehr
meine Welt, dachte er. Es ist Anns Welt und die der Ihren. Er ließ seinen Blick
forschend über die vielen Fenster der Vorderfassade gleiten und versuchte, ihre
Silhouette hinter einem davon zu erhaschen. Sie hätte mich sicher am Bahnhof
abgeholt, aber sie hat wieder einmal die Zeit nicht richtig mitgekriegt, dachte
er, nach dem Motto >Im Zweifel für den Angeklagten<. Aber ihr Wagen war
in den Ställen geparkt und noch mit dem Morgenreif bedeckt; er hatte ihn
erspäht, während er den Taxifahrer bezahlte. Er läutete und hörte Schritte auf
den Fliesen, doch es war Mrs. Tremedda, die ihm öffnete und ihn in einen der
Salons führte - Rauchzimmer, Frühstückszimmer, Wohnzimmer -, er hatte sie nie
recht auseinanderhalten können. Ein Kaminfeuer brannte.
    »Ich hole sie«, sagte Mrs.
Tremedda.
    Wenigstens brauche ich mich nicht
mit dem verrückten Harry über Kommunisten zu unterhalten, dachte Smiley,
während er wartete. Wenigstens brauche ich mir nicht anzuhören, daß die ganzen
chinesischen Kellner von Penzance nur auf Order aus Peking warten, um ihre
Gäste zu vergiften. Oder daß die verdammten Streiker an die Wand gestellt und
erschossen gehören - was ist denn das für eine Auffassung von Pflichterfüllung,
um Himmels willen? Oder daß Hitler zwar ein Schuft gewesen ist, daß aber seine
Ansichten in puncto Juden goldrichtig waren oder irgendeine ähnlich monströse,
doch ernsthaft vorgebrachte Meinung.
    Sie hat der Familie Anweisung
gegeben, sich fern zu halten dachte er.
    Er konnte den Honig durch den
Holzrauch riechen und fragte sich, wie immer, woher dieser Geruch kam. Vom
Möbelwachs? Oder war da irgendwo in den Katakomben ein Honigzimmer, so wie da
ein Gewehrzimmer, ein Angelzimmer, ein Boxraum und, soviel er wußte, ein
Liebeszimmer waren? Er schaute nach der Tiepolo-Zeichnung, die immer über dem
Kamin gehangen hatte, eine Szene aus dem venezianischen Leben. Sie haben sie
verkauft, dachte er. So oft er kam, war die Sammlung um irgendein weiteres
hübsches Stück ärmer geworden. Wofür Harry das Geld ausgab, konnte niemand
sagen: Sicher nicht für den Unterhalt des Hauses.
    Sie ging durch das Zimmer, und er
war froh, daß sie auf ihn zukam und nicht er auf sie, denn er wäre sicher über
irgendetwas gestolpert. Sein Mund war trocken, und er hatte einen Kaktusklumpen
im Magen, er wollte sie nicht zu nahe an sich haben, ihre Wirklichkeit war
plötzlich zu viel für ihn. Sie sah schön und keltisch aus, wie immer hier
unten, und ihre braunen Augen versuchten, als sie auf ihn zukam, seine
Stimmung zu erforschen. Sie küßte ihn auf den Mund, legte ihre Finger um seinen
Nacken, um ihn zu führen, und Haydons Schatten fiel zwischen sie wie ein
Schwert.
    »Du hast nicht zufällig die
Morgenzeitung am Bahnhof gekauft, nein?« fragte sie. »Harry hat sie wieder
einmal abbestellt.«
    Sie fragte, ob er schon
gefrühstückt habe, und er log und sagte ja. Vielleicht könnten sie einen
kleinen Spaziergang machen, schlug sie vor, als sei er gekommen, um sich das
Gut anzusehen. Sie führte ihn in das Gewehrzimmer, wo sie nach passenden
Stiefeln für ihn suchten. Da waren Stiefel, die wie Roßkastanien glänzten, und
Stiefel, die immer feucht wirkten. Der Küstenpfad führte in beiden Richtungen
aus der Bucht heraus. Harry hatte in regelmäßigen Abständen Stacheldrahtabsperrungen
angebracht oder Schilder aufgestellt mit der Aufschrift »LEBENSGEFAHR!
SELBSTSCHÜSSE«. Er lag mit dem Stadtrat in heftiger Fehde wegen der Genehmigung
zur Errichtung eines Campingplatzes, und die abschlägigen Bescheide brachten
ihn manchmal zum Rasen. Sie wählten den Nordhang und den Wind, und sie hatte
sich bei ihm eingehängt, um besser zuhören zu können. Der Norden war windiger,
aber am Südhang mußte man hintereinander durch den Stechginster gehen.
    »Ich muß ein bißchen weg, Ann«, sagte
er und versuchte ihren Namen natürlich auszusprechen. »Ich wollte am Telefon
nicht darüber reden.« Er hatte seine >Ich-zieh-in-den-Krieg-Stimme<
angenommen und kam sich wie ein Idiot vor, als sie ihm in den Ohren klang. »Ich
muß weg, um einen Liebhaber zu erpressen«, hätte er zu

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