Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
Vom Netzwerk:
Smiley, ein Gelehrter oder meinetwegen ein Pedant, für den die Akte
die einzige Wahrheit war und alles übrige pure Extravaganz, solange es sich
nicht in die Aufzeichnungen fügte. Er ließ sich auch die Unterlagen über Otto
Leipzig und den General kommen und fügte, zur Ehrung ihres Andenkens, wenn
schon zu nichts anderem sonst, jeweils eine Notiz hinzu, aus der die wahren
Umstände ihres Todes erhellten. Schließlich ließ er sich als letzte die Akte
über Bill Haydon kommen. Man zögerte zuerst, sie herauszugeben, und der
Diensthabende in der fünften Etage, wer immer es auch war, ließ Enderby aus
einer privaten Dinner-Party bei einem Minister herausrufen, um die Frage mit
ihm zu klären. Enderby war, das muß zu seiner Ehre gesagt werden, wütend:
»Mann Gottes, er hat doch das verdammte Ding in erster Linie verfaßt, oder
nicht? Wenn George seine eigenen Berichte nicht mehr lesen darf, wer zum
Teufel soll's dann dürfen?« Smiley las eigentlich nicht, berichtete die
Archivarin, die den heimlichen Auftrag hatte, alles, was er sich bringen ließ,
zu notieren. Es war mehr ein Schmökern , sagte sie, und beschrieb ein
langsames und nachdenkliches Umblättern, >wie jemand, der nach einem Bild
sucht, das er irgendwo gesehen hat und nicht wiederfinden kann<. Er behielt
die Akte nur eine Stunde oder so und gab sie dann mit einem höflichen >Danke
sehr< zurück. Danach kam er nicht mehr, aber die Pförtner wissen zu
berichten, daß er in jener Nacht, nachdem er die Unterlagen geordnet, seinen
Arbeitsplatz abgeräumt und die wenigen hingekritzelten Notizen in den Behälter
>Material für den Papierwolf< gesteckt hatte, kurz nach elf Uhr
beobachtet wurde, wie er lange im Hinterhof stand - einem trübseligen Platz
voll weißer Fliesen, schwarzer Regentraufen und Katzengestank - und auf das Gebäude
starrte, das er nun verlassen wollte, und auf das schwache Licht in seinem
ehemaligen Büro - so wie alte Männer auf die Häuser schauen, in denen sie
geboren, die Schulen, in denen sie erzogen, und die Kirchen, in denen sie
getraut wurden. Und von Cambridge Circus, es war inzwischen elf Uhr dreißig
geworden, fuhr er, zu jedermanns Verblüffung, mit einem Taxi nach Paddington
und stieg in den Schlafwagenzug nach Penzance, der kurz nach Mitternacht
abfährt. Er hatte die Fahrkarte weder vorher gekauft noch telefonisch bestellt;
auch hatte er keine Nachtsachen bei sich, nicht einmal einen Rasierapparat -
den borgte er sich am nächsten Morgen vom Schaffner. Sam Collins hatte damals
ein bunt zusammengewürfeltes Team von Observanten auf ihn angesetzt, einen
zugegeben amateurhaften Haufen, die hinterher nur sagen konnten, er habe von
einer Zelle aus telefoniert, und ihnen sei keine Zeit mehr geblieben, um irgendetwas
zu unternehmen.
    »Verdammt komischer Zeitpunkt, um
Urlaub zu machen, was?« bemerkte Enderby verdrießlich, als ihm diese
Information präsentiert wurde zusammen mit viel Gestöhne seitens des Personals
von wegen Überstunden . . . Fahrzeiten und Prämien für Einsatz zu
unchristlichen Zeiten. Dann erinnerte er sich und sagte: »Oh, du großer Gott,
er besucht seine Hurengöttin. Hat er denn nicht schon genug Probleme damit, daß
er Karla ganz allein angehen muß?« Die ganze Geschichte ging Enderby ungewöhnlich
auf die Nerven. Er schäumte den ganzen Tag und beschimpfte Sam Collins vor
versammelter Mannschaft. Als ehemaliger Diplomat hatte er einen Horror vor
unumwundenen Kurzverlautbarungen, was ihn jedoch nicht daran hinderte, dauernd
welche von sich zu geben.
     
    Das Haus stand auf einem Hügel, in
einem Dickicht aus kahlen Ulmen. Es war groß und aus verwittertem Granit, mit
einer Menge Giebel, die wie schwarze, zerrissene Zelte über die Baumwipfel
ragten. Mehrere Hektar kaputter Gewächshäuser führten darauf zu, verfallene
Ställe und ein verwahrloster K üchengarten
lagen unterhalb im Tal. Die Hügel, einstige Befestigungen, waren olivbraun und
kahl. Harrys kornischer Haufen, nannte sie das Ganze. Zwischen den
Hügeln sah man das Meer, das an diesem Morgen unter den tief hängenden
Wolkenbänken hart wie Schiefer wirkte. Ein Taxi, ein alter Humber, der wie ein
Generalstabswagen aus dem Krieg aussah, fuhr ihn den holprigen Weg hinauf.
Hier hat sie ihre Kindheit verbracht, dachte Smiley; und hier hat sie die meine
adoptiert. Die Auffahrt war voller Löcher, Stümpfe gefällter Bäume lagen wie
gelbe Grabsteine an beiden Seiten. Sie wird im Haupthaus sein, dachte er. Das
Cottage, wo sie zusammen ihren

Weitere Kostenlose Bücher