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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Mikhel geborgt hatte?« fragte Smiley.
    »Geb ich zurück. Sicher.«
    »Alles?« sagte Smiley.
    »Alles. Zigaretten waren Geschenk.
Max, ich liebe diesen Mann.«
     
    Stella brachte ihn hinaus, und an
der Tür nahm er sie sanft am Arm und führte sie ein paar Schritte in den
Garten, außer Hörweite ihres Mannes.
    »Ihr habt den Zug verpaßt«, sagte
sie zu ihm. »Was ihr auch tut, früher oder später muß die eine oder die andere
Seite aufstecken. Ihr seid wie die Gruppe.«
    »Seien Sie ruhig und hören Sie zu«,
sagte Smiley. »Hören Sie zu?«
    »Ja.«
    »William darf mit niemandem über
diese Sache sprechen. Mit wem redet er gern im Lagerhaus?«
    »Mit aller Welt.«
    »Schön, tun Sie, was Sie können.
Hat außer Mikhel sonst noch wer angerufen? Vielleicht jemand, der sich verwählt
hat? Einmal klingeln lassen - dann wieder aufgelegt?«
    Sie überlegte und schüttelte dann
den Kopf.
    »Ist jemand an die Tür gekommen?
Vertreter, Marktforscher, Wanderprediger? Meinungsumfrager? Irgend jemand? Sind
Sie sicher?«
    Sie starrte ihn weiter an, und ihre
Augen schienen ihn zusehends zu ergründen und ihm Achtung zu bezeugen. Dann
schüttelte sie wiederum den Kopf, verwehrte ihm die Partnerschaft, um die er
warb.
    »Bleiben Sie ihm vom Leib, Max. Sie
und alle anderen. Ganz gleich, was passiert und wie schlimm es ist. Er ist
erwachsen. Er braucht keinen Vikar mehr.«
    Sie sah ihm nach,
vielleicht, um sicher zu sein, daß er wirklich ging. Wie er so dahinfuhr,
brannte ihm eine Weile die Sorge um Wladimirs Negativ in der
Zigarettenschachtel auf der Seele wie Angst um verstecktes Geld - ob es wohl in
Sicherheit war, ob er einen Blick darauf tun oder einen Abzug machen solle;
schließlich war es unter Hingabe des Lebens durch die feindlichen Linien
gebracht worden. Doch als er sich dem Fluß näherte, hatten seine Gedanken und
Vorhaben eine andere Richtung eingeschlagen. Er umfuhr Chelsea, reihte sich in
den nordwärts fließenden Wochenendverkehr ein, den hauptsächlich junge Familien
in alten Wagen bestritten. Und ein wohlvertrautes Motorrad mit schwarzem
Beiwagen, das ihm auf der ganzen Strecke nach Bloomsbury getreulich auf den
Fersen blieb.
     

10
     
     
     
     
    Die Freie Baltische Bibliothek
befand sich im dritten Stock über einem verstaubten Antiquariat, das auf
Spiritismus spezialisiert war. Seine kleinen Fenster schielten auf einen Vorhof
des Britischen Museums hinunter. Bei seinem mühsamen Aufstieg durch ein
geschwungenes holzverkleidetes Treppenhaus war Smiley an einigen betagten,
handgezeichneten Plakaten vorbeigekommen, die an Reißnägeln hingen, sowie an
einem Stapel brauner Schachteln mit Toilettenartikeln, Eigentum des Drogisten
von nebenan. Als er schließlich sein Ziel erreicht hatte, bemerkte er, daß er
gründlich außer Atem gekommen war, und er legte klugerweise eine kleine Rast
ein, bevor er läutete. In seiner momentanen Erschöpfung wurde er dabei von
einer Halluzination heimgesucht. Ihm war, als strebe er immer wieder demselben
hochgelegenen Ort zu: der sicheren Wohnung in Hampstead, Wladimirs Mansarde in
Westbourne Terrace, und jetzt diesem gespenstischen Rückstand aus den fünfziger
Jahren, einstigem Sammelpunkt der sogenannten Bloomsbury Irregulars. Die drei
Orte fügten sich in seinem Geist zu einem einzigen zusammen, zu ein und
demselben Versuchsgelände für unerprobte Tugenden. Das Trugbild wich, er
läutete dreimal kurz, einmal lang, fragte sich, ob sie wohl das Signal geändert
hatten, bezweifelte es aber; machte sich weiterhin Gedanken um Willem oder um
Stella oder vielleicht nur um das Kind. Er hörte das nahe Knacken von Bodenbrettern
und vermutete, daß ihn jemand aus einem Fuß Entfernung durch das Guckloch
musterte. Die Türe ging schnell auf, er trat in einen düsteren Raum und fühlte
sich von zwei sehnigen Armen liebevoll umfaßt. Er roch Hitze und Schweiß und
Zigarettenrauch, und ein unrasiertes Gesicht preßte sich gegen seines - rechte
Wange, linke Wange, wie bei einer Ordensverleihung -, nochmals linke Wange, als
Beweis besonderer Zuneigung.
    »Max«, murmelte Mikhel in einem
Ton, der für sich genommen schon ein Requiem war. »Sie sind gekommen. Ich bin
froh. Ich hatte gehofft, aber nicht gewagt, damit zu rechnen. Ich habe trotzdem
auf Sie gewartet. Den ganzen Tag, bis jetzt. Er liebte Sie, Max. Sie waren für
ihn der Beste. Hat er immer gesagt. Sie waren seine Inspiration. So drückte er
es aus. Sein großes Beispiel.«
    »Tut mir leid, Mikhel«, sagte
Smiley.

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