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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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»Ehrlich leid.«
    »Wie uns allen, Max. Wie uns allen.
Unsagbar. Aber wir sind Soldaten.«
    Er war gepflegt und drahtig, jeder
Zoll der Major der Kavallerie, der er vorgab, gewesen zu sein. Seine braunen,
von der Nachtwache geröteten Augen waren dekorativ umschattet.
    Er trug einen schwarzen Blazer, den
er wie einen Husaren-Dolman über die Schultern geworfen hatte, und schwarze,
auf Hochglanz polierte Stiefel, die wirklich zum Reiten hätten dienen können.
Sein graues Haar war militärisch korrekt geschnitten und sein üppiger
Schnurrbart sorgfältig gestutzt. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick
jugendlich, und erst wenn man genauer auf die zahllosen winzigen Faltendeltas
in der bleichen Haut sah, gab es Mikhels sechzig oder noch mehr Jahre preis.
Smiley folgte ihm schweigend in die Bibliothek. Sie nahm die ganze Breite des
Hauses ein und war durch Nischen in entschwundene Länder unterteilt -
Lettland, Litauen und - nicht zuletzt - Estland. In jeder Nische waren ein
Tisch und eine Flagge, und auf einigen Tischen lagen, spielbereit,
Schachbretter, doch es wurde nicht gespielt, so wenig wie gelesen.
    Es war niemand da bis auf eine
blonde, ausladende Frau in den Vierzigern, die einen kurzen Rock und Söckchen
trug. Ihr gelbes, an den Wurzeln dunkles Haar war zu einem strengen Knoten
geschlungen. Sie hatte sich neben einem Samowar eingenistet und las ein
Reisemagazin, dessen Titelseite Birkenwälder im Herbst zeigte. Als Mikhel in
Höhe ihres Tisches angekommen war, blieb er stehen und schien ihr seinen
Begleiter vorstellen zu wollen, doch beim Anblick Smileys flammte in ihren
Augen intensiver, unmißverständlicher Zorn auf. Sie sah ihn an, ihr Mund
verzog sich verächtlich, und ihr Blick glitt von ihm weg zu einem
regenverschmierten Fenster. Ihre Wangen glänzten vom Weinen, und unter ihren
Augen mit den schweren Lidern waren dunkle Flecke.
    »Elvira liebte ihn auch sehr«,
bemerkte Mikhel erklärend, als sie außer Hörweite waren. »Er war für sie wie
ein Bruder. Er instruierte sie.«
    »Elvira?«
    »Meine Frau, Max. Nach vielen
Jahren haben wir geheiratet. Ich war lange dagegen. Es ist nicht immer gut für
unsere Arbeit. Aber ich war ihr diese Sicherheit schuldig.«
    Sie setzten sich. Um sie herum an
den Wänden hingen Märtyrer vergessener Bewegungen. Dieser hier im Gefängnis,
durch die Stäbe hindurch fotografiert. Jener dort, tot, und wie bei Wladimir
hatte man das Tuch weggezogen, um sein blutiges Gesicht freizumachen. Ein
dritter, der eine verbeulte Partisanenmütze und ein langläufiges Gewehr trug,
lachte in die Kamera. Vom anderen Ende des Raums hörten sie eine kleine
Explosion, gefolgt von einem kräftigen, russischen Fluch. Elvira, Mikhels
Gattin, zündete den Samowar an.
    »Tut mir leid«, wiederholte Smiley.
    Feinde fürchte ich nicht,
Willem, dachte Smiley. Aber Freunde
fürchte ich gewaltig.
    Sie waren in Mikhels Privatnische,
die er sein Büro nannte. Ein altmodisches Telefon stand auf dem Tisch neben
einer Remington Schreibmaschine aus der Gründerzeit, die gleiche, wie sie
Wladimir besessen hatte. Jemand mußte einmal eine Menge davon aufgekauft
haben, dachte Smiley. Aber das Paradestück war ein handgeschnitzter Sessel mit
gedrechselten Beinen und einem kaiserlichen Wappen, das auf die Hinterseite der
Rückenlehne gestickt war. Mikhel saß steif darauf, Knie und Stiefel zusammengepreßt,
wie ein Vizekönig, der für diesen Thron zu klein war. Er hatte sich eine
Zigarette angezündet und hielt sie wie eine Fackel senkrecht, mit dem
brennenden Ende nach oben. Über ihm hing eine Rauchwolke gleich einem
Regenschleier, genau wie Smiley es in Erinnerung hatte. Im Papierkorb bemerkte
Smiley einige weggeworfene Nummern von Sporting Life.
      »Er war ein Führer, Max, er war ein Held,« erklärte Mikhel.
»Wir müssen versuchen, seinem Mut und seinem Beispiel nachzueifern.« Er machte
eine Pause, wie um Smiley Gelegenheit zu geben, den Ausspruch zur
Veröffentlichung niederzuschreiben. »In derartigen Fällen fragt man sich
natürlich, wie es denn weitergehen soll. Wer ist wert, ihm nachzufolgen? Wer
hat seine Statur, sein Ehrgefühl, sein Sendungsbewußtsein? Glücklicherweise
ist unsere Bewegung ein Prozeß, der sich dauernd weiterentwickelt. Sie ist
größer als jeder Einzelne, größer sogar, als jede Gruppe.«
    Als er Mikhels glänzender Rhetorik
lauschte, seine glänzenden Stiefel betrachtete, fragte sich Smiley, wie alt der
Mann wohl sein mochte. Die Russen hatten, erinnerte er sich,

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