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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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einem kleinen
Haus unten am Fluß.
    Junggeselle.«
    »Allein in einem ganzen Haus? Und
soll hier gearbeitet haben?«
    »Ja.«
    Der Beamte schüttelte den Kopf.
»Nie von ihm gehört.« Er sah Leiser zweifelnd an. »Sind Sie sicher?« fragte
er.
    »Das hat
er mir jedenfalls erzählt.« Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. »Im
November hat er mir geschrieben... er beschwerte sich darüber, daß Vopos den
Bahnhof geschlossen hätten.«
    »Sie sind
ja verrückt«, sagte der Beamte. »Gute Nacht.«
    »Gute
Nacht«, erwiderte Leiser. Die ganze Zeit, während er davonging, spürte er den
starren Blick des Mannes in seinem Rücken.
    In der
Hauptstraße gab es einen Gasthof. Er hieß >Alte Glocke<. Er wartete eine
Zeitlang an der Theke im Gastzimmer, aber niemand kam. Er öffnete eine Tür und
stand in einem großen, halbdunklen Raum. An einem Tisch saß ein Mädchen vor
einem alten Grammophon. Sie saß zusammengesunken da, hatte den Kopf in die
Arme gelegt und lauschte der Musik. Über ihr brannte eine einzelne Birne. Als
die Platte zu Ende war, setzte sie, ohne den Kopf zu heben, die Nadel wieder an
den Anfang.
    »Ich
brauche ein Zimmer«, sagte Leiser. »Ich bin gerade aus Langdorn angekommen.«
Überall in dem Raum hingen ausgestopfte Vögel: Reiher, Fasanen und ein
Eisvogel. »Ich suche ein Zimmer«, wiederholte er. Es war Tanzmusik, eine sehr
alte Platte.
    »Fragen
Sie an der Theke.«
    »Es ist
niemand da.«
    »Es gibt sowieso nichts. Die
dürfen Sie hier gar nicht wohnen lassen. Neben der Kirche ist eine Herberge.
Sie müssen dort wohnen.«
    »Wo ist die Kirche?«
    Sie stellte mit einem
übertriebenen Seufzer das Grammophon ab, und Leiser wußte, daß sie froh war, mit
jemandem reden zu können.
    »Sie ist zerbombt«, erklärte sie.
»Wir sprechen nur noch von ihr. Bloß der Turm steht noch.«
    Schließlich sagte er: »Die haben
sicher ein Bett hier.
    Es ist doch ein großes Haus.« Er
stellte den Rucksack in eine Ecke und setzte sich neben sie an den Tisch.
    Mit der Hand fuhr er sich durch
das dichte, trockene Haar.
    »Sie sehen ganz erledigt aus«,
sagte das Mädchen. Seine blauen Hosen waren noch vom Lehm an der Grenze
verkrustet. »War den ganzen Tag unterwegs. Das nimmt einen mit.«
    Sie stand
befangen auf und ging bis ans Ende des Raumes, wo eine hölzerne Stiege zu einem
schwachen Lichtschimmer hinaufführte. Sie rief, aber niemand kam.
    »Steinhäger?«
fragte sie aus der Dunkelheit. »Ja.«
    Sie kam mit einer Flasche und
einem Glas zurück. Sie trug einen alten braunen Militärregenmantel mit Schulterstücken
und eckigen Schultern. »Woher sind Sie?« fragte sie.
    »Magdeburg.
Ich fahre nach Norden. Habe in Rostock eine Stelle bekommen.«
    Wie oft würde er das noch sagen?
»In dieser Herberge - kann ich da ein Einzelzimmer haben?«
    »Wenn Sie eins wollen.«
    Die
Beleuchtung war so schwach, daß er sie zuerst kaum erkennen konnte. Nach und
nach nahm sie Gestalt an. Sie war ungefähr achtzehn und grobknochig.
    Ein ganz
hübsches Gesicht, aber eine sehr unreine Haut. So alt wie der Junge an der
Grenze, ein bißchen älter vielleicht.
    »Wer sind
Sie«, fragte er. Sie antwortete nicht. »Was machen Sie?«
    Sie nahm
sein Glas, trank daraus und sah ihn altklug über den Rand des Glases hinweg an.
Sie schien sich für eine große Schönheit zu halten. Dann stellte sie das Glas
langsam auf den Tisch zurück, während sie ihn weiter ansah und sich das Haar
aus dem Gesicht strich. Auch von dieser Geste schien sie viel zu halten. »Schon
lange hier?«
    »Zwei
Jahre.«
    »Was
machen Sie?«
    »Was Sie
wollen.« Ihre Stimme war ganz ernst.
    »Viel los
hier?«
    »Ach -
völlig tot. Nichts.«
    »Keine
Jungs?«
    »Manchmal.«
    »Soldaten?«
- Eine Pause.
    »Ab und
zu. Wissen Sie nicht, daß diese Frage verboten ist?«
    Leiser goß
sich noch einen Steinhäger aus der Flasche ein.
    Sie nahm
sein Glas, wobei sie mit seinen Fingern spielte.
    »Was ist mit dieser Stadt los?«
fragte er. »Ich habe schon vor sechs Wochen versucht, herzukommen. Man ließ
mich nicht herein. Kalkstadt, Langdorn, Wolken - alles gesperrt, sagten sie.
Was war los?« Ihre Fingerspitzen strichen über seine Hand. »Was ging hier vor?«
wiederholte er. »Nichts war gesperrt.«
    »Mach halblang«, sagte Leiser.
»Sie wollten mich nicht mal in die Nähe lassen, ich schwör dir's. Sperren hier
und auf der Straße nach Wolken.« Er dachte:
    schon zwanzig nach acht, nur noch
zwei Stunden bis zu meinem ersten Funkkontakt. »Nichts war gesperrt.«

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