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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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    Das
Küchenfenster war erleuchtet. Leiser klopfte an die Tür. Seine Hand zitterte
von der Fahrt auf dem Motorrad. Niemand kam. Er klopfte noch einmal, und das
Geräusch erschreckte ihn. Er glaubte, ein Gesicht zu sehen. Es konnte der
Schatten des Jungen sein, der gegen das Fenster sank, als er fiel, ebensogut
aber konnte es die Spiegelung eines vom Wind bewegten Astes sein.
    Er ging
schnell zu dem Motorrad zurück. Entsetzt begriff er, daß sein Hunger gar kein
Hunger war, sondern Einsamkeit. Er mußte sich irgendwo hinlegen und ausruhen.
Er dachte: ich hatte ganz vergessen, wie sehr einen das mitnimmt. Er fuhr
weiter, bis er in einen Wald kam. Dort legte er sich hin. Sein Gesicht preßte
sich heiß in das Farnkraut. Es war Abend. Auf den Feldern war es noch hell.
Aber in dem Wald, in dem er lag, breitete sich rasch die Dämmerung aus, so daß
sich die roten Föhren plötzlich in schwarze Säulen verwandelten. Er klaubte
sich die Blätter von seiner Jacke und schnürte die Schuhe zu. Sie drückten den
Rist schmerzhaft. Er hatte keine Zeit gehabt, sie einzulaufen. Er ertappte
sich bei dem Gedanken: denen kann's egal sein, und er erinnerte sich daran, daß
nichts je die Kluft überbrückt, die zwischen dem Mann lag, der ging, und denen,
die zurückblieben, zwischen den Lebenden und den Toten.
    Es
bereitete ihm Mühe, die Riemen des Rucksackes über die Schultern zu streifen,
und dankbar fühlte er wieder den heißen Schmerz, als sie endlich auf ihren
alten Stellen saßen. Nachdem er den Koffer aufgenommen hatte, ging er über den
Acker zur Straße zurück, wo das Motorrad stand: noch fünf Kilometer bis
Langdorn. Er nahm an, daß es hinter dem nächsten Hügel lag: die erste der drei
Städte. Bald würde er auf die Straßensperre stoßen; bald würde er essen. Er
fuhr langsam, den Koffer auf seinen Knien, während er auf die nasse Straße
starrte und seine Augen anstrengte, um eine Kette roter Lichter zu sehen oder
eine Ansammlung von Männern und Fahrzeugen. Nach einer Kurve sah er auf der
linken Straßenseite ein Haus mit einer Bierreklame, die in einem Fenster
aufgestellt war. Er fuhr in den Vorgarten. Das Motorengeräusch lockte einen
alten Mann vor die Tür. Leiser bockte das Rad auf.
    »Ich hätte
gerne ein Bier«, sagte er, »und Wurst. Gibt's das hier?«
    Er alte
Mann ließ ihn eintreten und an einem Tisch im Gastzimmer Platz nehmen, von dem
aus Leiser das Motorrad draußen im Auge behalten konnte. Er brachte ihm eine
Flasche Bier, einige Scheiben Wurst auf einem Teller und ein Stück Schwarzbrot.
Er blieb neben dem Tisch stehen und sah ihm beim Essen zu. »Wohin wollen Sie?«
Sein mageres Gesicht war von Bartstoppeln bedeckt.
    »Nach
Norden.« Leiser kannte dieses Spiel.
    »Woher
sind Sie?«
    »Wie heißt
die nächste Ortschaft?«
    »Langdorn.«
    »Weit?«
    »Fünf
Kilometer.«
    »Kann man
dort übernachten?«
    Der alte
Mann zuckte mit den Schultern. Die Bewegung drückte weder Gleichgültigkeit
noch Verneinung aus, sondern einfach Ablehnung, als lehne er alles ab und werde
von allem abgelehnt. »Wie ist die Straße?« fragte Leiser. »Ganz gut.«
    »Angeblich soll eine Umleitung
sein.«
    »Keine Umleitung«, sagte der alte
Mann, als bedeute eine Umleitung Hoffnung, Trost oder Gesellschaft, irgend
etwas, das die kalte Feuchtigkeit erwärmen oder die Ecken des Raumes hätte
erhellen können. »Sie sind aus dem Osten«, erklärte der alte Mann. »Man
erkennt's an Ihrer Sprache.«
    »Meine Eltern«, sagte Leiser.
»Gibt's Kaffee?« Der alte Mann brachte Kaffee, sehr schwarz und säuerlich,
ohne Aroma.
    »Sie sind aus Wilmsdorf«, sagte
der alte Mann. »Ihr Nummernschild ist aus Wilmsdorf.«
    »Viele Gäste?« fragte Leiser und
sah zur Tür.
    Der alte Mann schüttelte den Kopf.
    »Ist keine sehr befahrene Straße,
nicht?« Der alte Mann sagte immer noch nichts. »Ich hab' einen Freund in
Kalkstadt. Ist das noch weit?«
    »Nicht weit. Vierzig Kilometer.
Bei Wilmsdorf ist ein Junge umgebracht worden.«
    »Er führt ein Lokal an der
Nordausfahrt, >Dorfkrug<, kennen Sie es?«
    »Nein.«
    Leiser senkte seine Stimme. »Es
gab Ärger bei ihnen. Eine Prügelei, Soldaten aus der Stadt, Russen.«
    »Gehen Sie weg«, sagte der alte
Mann. Er wollte zahlen, hatte aber nur einen Fünfzigmarkschein.
    »Gehen Sie weg«, sagte der Alte
wieder.
    Leiser nahm Rucksack und Koffer.
»Alter Narr«, sagte er böse, »was glauben Sie, wer ich bin?«
    »Sie sind entweder gut oder
schlecht - und beides ist gefährlich.

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