Carre, John le
den Jungen überfiel.
Er
schleuderte die leere Fleischdose und die kleine Flasche weit in den See
hinaus, und als sie ins Wasser klatschten, erhob sich träge ein Reiher aus dem
Schilf. Leiser bückte sich nach einem Kieselstein, den er über die Wasserfläche
tanzen ließ. Er hörte, daß er dreimal aufschlug, ehe er unterging. Er versuchte
es noch einmal, aber dreimal sprang der Stein nicht mehr. Er ging in die Hütte
zurück und holte den Rucksack und seinen Koffer. Sein rechter Arm schmerzte
sehr. Das mußte vom Gewicht des Koffers sein. Irgendwoher drang das Muhen von
Kühen. Er ging auf dem Uferweg nach Osten. Er wollte so weit wie möglich
kommen, ehe der Tag begann. Ein halbes Dutzend Dörfer mußte er schon durchquert
haben. Jedes war ohne Leben gewesen, ruhiger als die offene Landstraße, weil
die Häuser für einen Augenblick den Wind abhielten. Plötzlich wurde ihm bewußt,
daß er keine Wegweiser und kein einziges neues Gebäude gesehen hatte. Das war
es, was den friedlichen Eindruck erweckte. Es war die Ruhe der fehlenden
Erneuerung- so hatte es auch schon vor fünfzig Jahren hier ausgesehen, oder vor
hundert. Es gab keine Straßenbeleuchtung, keine bunten Schilder an den Kneipen
und Geschäften. Es war die Dunkelheit der Gleichgültigkeit, und das beruhigte
ihn. Er lief in diesen Frieden hinein, wie ein müder Mann in die See taucht: er
gab ihm Kühlung und belebte ihn, wie der Wind, bis er sich an den Jungen
erinnerte. Er kam an einem allein stehenden Bauernhaus vorbei. Ein langer Weg
führte von der Straße zu dem Haus. Er blieb stehen. Auf halber Höhe stand ein
Motorrad, ein alter Regenmantel lag über dem Sattel. Niemand war zu sehen. Der
Ofen qualmte.
»Wann war doch sein erster
Sendetermin?« fragte Avery. Er hatte schon mehrmals gefragt. »Johnson sagte, um
zweiundzwanzig Uhr zwanzig. Eine Stunde vorher werden wir anfangen, das Wellenband
abzutasten.«
»Ich dachte, er sei auf einer
bestimmten Frequenz«, murmelte Leclerc ziemlich uninteressiert. »Es könnte
sein, daß er mit dem falschen Kristall anfängt. In der Aufregung passiert das
leicht. Für die Empfangsstation ist es am sichersten, wenn man auf alle
Frequenzen achtet, für die er Kristalle mit hat.«
»Er muß jetzt schon unterwegs
sein.«
»Wo ist Haldane?«
»Er schläft.«
»Wie kann
jemand unter diesen Umständen schlafen?«
»Es wird
bald Tag.«
»Können
Sie nicht irgendwas mit diesem Ofen unternehmen?« fragte Leclerc. »Es ist doch
wohl nicht notwendig, daß er so raucht.« Plötzlich schüttelte er den Kopf, als
wolle er Wassertropfen abbeuteln, und sagte: »John, es gibt einen
außerordentlich interessanten Bericht Fieldens. Über Truppenbewegungen in Budapest.
Wenn Sie nach London zurücckommen, sollten Sie vielleicht...« Er verlor den
Faden und runzelte die Stirn.
»Sie
erwähnten es schon«, sagte Avery sanft.
»Ja,
natürlich, jedenfalls sollten Sie mal einen Blick hineinwerfen.«
»Gerne.
Klingt sehr interessant.«
»Ja, nicht
wahr?«
»Sehr.«
»Wissen
Sie«, sagte Leclerc, anscheinend noch immer in Erinnerungen versunken, »die
wollen der unglücklichen Frau immer noch nicht die Pension auszahlen.«
Er hielt
sich auf dem Motorrad sehr steif und hatte die Ellbogen an den Körper gelegt,
als sitze er bei Tisch. Die Maschine machte schrecklichen Lärm, der die
Morgendämmerung erfüllte, über die gefrorenen Felder hallte und die Hühner in
ihren Ställen aus dem Schlaf schreckte. Der Mantel hatte lederne Schulterklappen.
Seine Zipfel flatterten im Wind und schlugen mit knatterndem Geräusch gegen die
Speichen des Hinterrades, während die Maschine über die Schlaglöcher holperte.
Der Tag brach an. Er würde bald etwas essen müssen. Leiser verstand nicht,
wieso er so hungrig war. Vielleicht kam es von der körperlichen Anstrengung.
Ja, das mußte es sein. Er würde essen, aber nicht in einer Stadt, und noch
nicht jetzt. Nicht in einem Cafe, in das fremde Menschen kamen. Nicht in einem
Cafe, das der Junge besucht hatte.
Er fuhr
weiter. Das Hungergefühl peinigte ihn. Er konnte an nichts anderes denken. Er
drehte den Gashebel zurück und beugte seinen gierigen Körper vor. Er wendete
in einen Feldweg und hielt. Das Haus war alt und vernachlässigt bis zum
Zerfall. Der Weg zum Haus war von Karrenrädern aufgewühlt und von Gras
überwachsen, der Zaun morsch. Es gab terrassenförmig angelegte Beete, auf denen
das Unkraut wucherte, als könne man sie für keinen sinnvollen Zweck
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